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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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das Sternlicht reicht, so kann die Reise viele Jahrhunderte dauern. Das ist so, auch wenn es denjenigen, die auf dem Schiff sind, nicht so vorkommt.
    Wenn das Schiff noch schneller fährt und im Wind der Sonnen kreuzt, läuft die Zeit rückwärts, so daß das Schiff vor seiner Abfahrt ankommt.«
    »Das muß sehr lästig sein«, sagte ich. Ich schaute hinaus aufs Wasser.
    »Nicht für mich persönlich. Wenn du meinst, ich wäre irgendwie die Königin oder Hüterin deiner Urth, so irrst du. Das bin ich nicht. Aber für uns, ja. Stell dir vor, wir wollen shah mat spielen auf einem Brett, dessen Felder Floße auf diesem Meer sind. Wir ziehen, doch noch während des Zuges gleiten die Floße in die neue Kombination; und um zu ziehen müssen wir von Floß zu Floß paddeln, was dauert.«
    »Gegen wen spielt ihr?« fragte ich.
    »Entropie.«
    Ich sah sie an. »Es heißt, dieses Spiel wird immer verloren.«
    »Das wissen wir.«
    »Ist Thecla wirklich am Leben? Am Leben außerhalb von mir?«
    »Hier? Ja.«
    »Würde sie, falls ich sie zur Urth brächte, auch dort leben?«
    »Das wird nicht gestattet.«
    »Dann will ich gar nicht erst fragen, ob ich hier bei ihr bleiben kann. Du hast diese Frage bereits beantwortet. Weniger als einen Tag, alles in allem, hast du gesagt.«
    »Würdest du bei ihr bleiben, wenn es möglich wäre?«
    Ich überlegte kurz. »Die Urth aufgeben, in Finsternis und Kälte versinken lassen? Nein. Thecla war keine gute Frau, aber …«
    »Nicht gut nach wessen Maßstab?« fragte Apheta. Als ich darauf nicht antwortete, fuhr sie fort: »Ich möchte es wirklich wissen. Du glaubst vielleicht, mir sei nichts unbekannt, aber dem ist nicht so.«
    »Nach ihrem eigenen Maßstab. Ich wollte sagen, aber fand nicht die richtigen Worte, daß alle Beglückten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ein gewisses Verantwortungsgefühl hatten. Es erstaunte mich stets, wie wenig sie sich trotz all ihrer Bildung darum scherte. Damals, als wir uns in ihrer Zelle unterhielten. Viel, viel später, als ich schon ein paar Jahre Autarch war, erkannte ich den Grund: sie wußte von etwas Besserem, etwas, das sie ihr Leben lang gelernt hatte. Eine grobe Ethologie, aber ich kann nicht genau sagen, was ich meine.«
    »Versuch es bitte. Es interessiert mich.«
    »Thecla würde bis zum Tod jeden verteidigen, der – zwangsläufig – abhängig wäre von ihr. Darum hielt Hunna den Zak für mich fest heute nachmittag. Hunna spürte etwas von Thecla in mir, obwohl sie sicher wußte, daß ich eigentlich nicht Thecla war.«
    »Dennoch sagst du, Thecla sei nicht gut gewesen.«
    »Gut sein, das bedeutet viel, viel mehr. Das hat auch sie gewußt.«
    Ich hielt inne und beobachtete die weißen Wellenkronen im Dunklen hinter den Booten, während ich mich zu sammeln versuchte. »Ich wollte sagen, daß ich es von ihr lernte – dieses Verantwortungsgefühl – oder vielmehr durch sie aufnahm, als ich sie aufnahm. Würde ich nun wegen ihr Verrat üben an Urth, so wäre ich nicht besser, sondern schlechter als sie. Sie will, daß ich besser bin, wie jeder Liebende den Geliebten besser wünscht als sich selbst.«
    Apheta bat: »Sprich weiter!«
    »Ich wollte Thecla, weil sie soviel besser war als ich, sozial und moralisch betrachtet, und sie wollte mich, weil ich soviel besser war als sie und ihre Freunde, nur weil ich tat, was nötig war. Die meisten Beglückten tun das nicht auf Urth. Sie haben ungemein viel Macht und geben vor, wichtig zu sein; sie erzählen den Autarchen, daß sie ihr Heer in der Gewalt haben, und dem Heer erzählen sie, daß sie die Republik in der Gewalt haben. Aber in Wirklichkeit tun sie gar nichts, im Grunde ihres Herzens wissen sie das auch. Sie scheuen sich davor, von ihrer Macht Gebrauch zu machen, zumindest gilt das für die allermeisten, wissen sie doch, daß sie nicht imstande sind, sie weise zu benutzen.«
    Seevögel, bleiche Vögel mit großen Augen und Schnäbeln wie Schwerter schraubten sich in die Höhe; schließlich sah ich einen Fisch hüpfen. »Wovon habe ich gesprochen?« fragte ich.
    »Warum du deine Welt nicht der Finsternis und Kälte überlassen kannst.«
    Mir war etwas anderes eingefallen. »Du sagtest, daß du meine Sprache nicht sprichst.«
    »Ich sagte, denke ich, ich sei keiner Zunge mächtig. Wir haben keine Zunge. Sieh!«
    Sie öffnete den Mund und hielt ihn mir hin, aber es war so dunkel, daß ich nicht sehen konnte, ob sie mich beschwindelte. »Wie kommt’s, daß ich dich höre?« fragte ich. Dann

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