Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
Vom Netzwerk:
nickte. »Kommst du mit, Severian?«
    Ich mußte an Dorcas denken, die mich bestürmt hatte, mit ihr den Gyoll hinunterzugehen, um einen Greis und ein verfallenes Haus zu finden. »Gern, wenn ich kann«, gab ich zur Antwort. »Aber ich werde nicht bleiben können.«
    »Dann komme ich vielleicht mit dir, wenn du gehst, aber zuerst muß ich Liti wiedersehen. Bei der Ankunft werde ich meinen Vater küssen und alle Verwandten und sie zum Abschied wohl erdolchen. Trotzdem muß ich mein Dorf wiedersehen.«
    »Verstehe.«
    »Ich habe es nicht anders erwartet. Gunnie sagte, du bist so einer, der alles Mögliche versteht.«
    Ich hatte während der Unterhaltung den Pfad betrachtet. Nun bedeutete ich ihr mit einer Geste zu schweigen, und rund hundert Atemzüge lang lauschten wir. Eine frische Brise strich durch die Wipfel; hie und da schrie ein Vogel, obwohl die meisten schon gen Norden gezogen waren. Der Fluß murmelte munter vor sich hin.
    »Was ist?« flüsterte Burgundofara schließlich.
    »Jemand ist uns vorausgelaufen. Siehst du die Spuren? Ein Junge, denke ich. Vielleicht hat er sich herangeschlichen, um uns zu beobachten, oder er holt Verstärkung.«
    »Allerhand Leute werden diesen Weg begehen.«
    Ich ging neben der Fußspur in die Hocke, um es ihr zu erklären. »Er war am Morgen hier, als wir kamen. Siehst du, wie dunkel der Abdruck ist? Er ist über die Felder gekommen genau wie wir, und seine Füße sind naß gewesen vom Tau. Wird bald trocknen. Seine Füße sind klein für einen Mann, aber er macht große Tritte – ein Jüngling, der fast schon ein Mann ist.«
    »Wie gescheit du bist. Das hat auch Gunnie gesagt. Ich hätte das nicht gesehen.«
    »Du kennst dich tausend Mal besser mit Schiffen aus als ich, obwohl ich schon eine Weile auf beiderlei Schiffstypen zugebracht habe. Ich war eine Zeitlang berittener Späher, da machten wir so was.«
    »Vielleicht sollten wir in die andere Richtung gehen.« Ich schüttelte den Kopf. »Das sind die Leute, die zu retten ich gekommen bin. Ich werde sie nicht retten, wenn ich vor ihnen davonlaufe.«
    Als wir weitergingen, bemerkte Burgundofara: »Wir haben nichts verkehrt gemacht.«
    »Du meinst, insofern als ihnen bekannt ist. Jeder hat Fehler begangen, und ich hundertfach – vielmehr zehntausendfach.«
    Weil der Wald alle Laute dämpfte und ich keinen Rauch gerochen hatte, nahm ich an, der Ort, zu dem der Junge gelaufen war, sei mindestens eine Meile entfernt. Der Pfad machte eine scharfe Wendung, und ein stilles Dorf mit etwa einem Dutzend Hütten stand vor uns.
    »Können wir nicht einfach weitergehen?« fragte Burgundofara. »Sie werden noch schlafen.«
    »Sie sind wach«, entgegnete ich. »Sie beobachten uns aus den Eingängen, wobei sie hinten stehen, damit wir sie nicht sehen.«
    »Du hast gute Augen.«
    »Das nicht, aber ich kenne die Dörfer, und der Junge ist vor uns angekommen. Wenn wir weitergehen, kriegen wir womöglich Mistgabeln in den Rücken.«
    Ich blickte von Hütte zu Hütte und erhob die Stimme. »Bewohner dieses Dorfes! Wir sind arglose Reisende. Wir haben kein Geld. Wir verlangen nur Wegerecht.«
    Es schien sich etwas zu rühren in der Stille. Ich trat vor und bedeutete Burgundofara, mir zu folgen.
    Ein Mann von fünfzig Jahren trat aus einem Eingang; sein brauner Bart war grau gesträhnt; er trug einen Dreschflegel.
    »Du bist der Hetman dieses Dorfes«, sagte ich. »Wir danken dir für deine Gastfreundschaft. Wie gesagt, wir kommen in friedlicher Absicht.« Er starrte mich an, womit er mich an einen gewissen Steinmetz erinnerte, dem ich einmal begegnet war. »Herena sagt, ihr kommt aus einem Schiff, das vom Himmel gefallen ist.«
    »Welche Rolle spielt es schon, woher wir kommen? Wir sind friedliche Wanderer. Wir verlangen nicht mehr, als daß ihr uns ziehen laßt.«
    »Es spielt durchaus eine Rolle für mich. Herena ist meine Tochter. Ich möchte es gern wissen, wenn sie lügt.«
    Ich meinte zu Burgundofara: »Du siehst, so gescheit bin ich auch wieder nicht.« Sie lächelte, obwohl ihr anzusehen war, daß sie Angst hatte.
    »Hetman, wenn du einem Fremdling mehr traust als deiner Tochter, so bist du ein törichter Mann.« Mittlerweile war das Mädchen so nahe zur Tür vorgerückt, daß ich die Augen sehen konnte. »Komm heraus, Herena!« forderte ich sie auf. »Wir tun dir nichts zuleide.«
    Herena trat vor. Sie war ein großes Mädchen von rund fünfzehn Jahren mit langem braunen Haar und einem verkümmerten Arm, der nicht länger als ein

Weitere Kostenlose Bücher