Die Urth der Neuen Sonne
woher sie meinen Namen kennt.«
»Das weiß man normalerweise nie bei ihr«, meinte ich und überlegte, daß Tzadkiel, genau wie ich viele Personen in einem Körper vereinte, viele Körper in einer Person war.
Der Kapitän deutete über die Heckreling, wo das Wolkenmeer den Schiffsrumpf des Tenders geradezu zu umspülen schien. »Wir tauchen dort ein. Unterhalb davon könnt ihr euer Halsband abnehmen, ohne zu frieren.«
Schon waren wir in Nebel gehüllt. In einem braunen Buch, das ich aus Theclas Zelle mitnahm, hatte ich gelesen, daß Nebel die Lebenden von den Toten trenne und daß die Erscheinungen, die wir Geister nennen, nichts anderes seien als Reste dieser Nebelgrenze, die an ihren Gesichtern und Kleidern klebten.
Ob das stimmt, weiß ich nicht; auf alle Fälle wird die Urth durch ein solches Gebiet abgegrenzt vom All, was mich seltsam anmutet. Vielleicht sind die vier Reiche nur zwei, und wir haben das All lediglich betreten und verlassen, wie ein Gespenst das Land der Lebenden besucht.
Das Dorf am Fluß
Als ich mich über die Reling beugte und beobachtete, wie sich rotgoldene Flecken in Waldstücke und braune Tupfer in Äcker mit stelzigen Halmen verwandelten, dachte ich, dessen entsinne ich mich gut, welch wunderlichen Anblick wir wohl geboten hätten, falls uns jemand gesehen hätte: eine schnittige Pinasse, wie sie an jedem Kai von Nessus liegen könnte, lautlos vom Himmel herabsteigend. Ich war mir sicher, daß uns niemand beobachtet hatte. Es war frühester Morgen; selbst kleine Bäume warfen lange Schatten, und als feurige Sprenkel trotteten rote Füchse durch den Tau heimwärts zum Bau.
»Wo sind wir?« fragte ich den Kapitän. »In welcher Richtung liegt die Stadt?«
»Nordnordost«, erwiderte er und deutete.
Der Proviant, den er uns zur Verfügung stellte, steckte in langen Tornistern von der Größe eines mittleren Kanonenrohrs. Er zeigte uns, wie sie getragen wurden mittels einer Schlaufe für die linke Schulter und einem Bauchgurt. Er drückte uns die Hand und wünschte uns alles Gute, was er, soweit ich es beurteilen konnte, ehrlich meinte.
Ein silberner Landungssteg glitt aus der Nahtstelle zwischen Deck und Rumpf. Burgundofara und ich gingen hinunter und hatten wieder den Boden der Urth unter den Füßen.
Wir wandten uns um – wie sich wohl ein jeder unwillkürlich umgewandt hätte – und sahen den Tender fliegen, der sich wieder aufrichtete, nachdem der Kiel vom Erdboden abgehoben hatte, und sanft schaukelte in der mäßigen Dünung, die allein das Schiff spürte, das wie ein Drachen stieg. Wie gesagt, wir waren durch Wolken zur Urth niedergefahren; der Tender indes fand einen Spalt in den Wolken (damit wir ihn, dieses Eindrucks konnte ich mich nicht erwehren, fliegen sähen), durch den er immer höher stieg, bis Rumpf und Masten zu einem goldenen Stäubchen schrumpften. Schließlich entfaltete es sich zu einem glitzernden Span, wie er von der Feile fällt; somit wußten wir, daß die Besatzung die Segel gesetzt hatte, die allesamt aus silberner Metallfolie bestanden und jeweils größer als manche Insel waren, und daß wir es nicht wiedersähen. Ich wandte mich ab, um die Tränen in den Augen zu verbergen vor Burgundofara. Als ich ihr sagen wollte, daß wir uns auf den Weg machen sollten, bemerkte ich, daß auch sie geweint hatte.
Nessus lag Nordnordost, hatte der Kapitän gesagt; da die Sonne noch dicht am Horizont stand, war es nicht schwer, den Kurs zu halten. Eine halbe Meile oder länger marschierten wir über reifbedeckte Felder, betraten ein Wäldchen und gelangten bald an einen Fluß, dessen gewundenes Ufer ein Pfad säumte.
Burgundofara hatte bis jetzt ebensowenig gesprochen wie ich; als wir freilich das Wasser sahen, eilte sie zu ihm und schöpfte so viel, wie sie mit der Hand fassen konnte. Nachdem sie es getrunken hatte, sagte sie: »Jetzt weiß ich, daß wir wirklich daheim sind. Ich habe gehört, für Landratten ist’s Brot und Salz.«
Ich erklärte, da habe sie recht, obwohl ich es fast vergessen hätte.
»Für uns ist es das Wasser, das wir trinken, wenn wir wo sind. Auf Schiffen mangelt es normalerweise nicht an Brot und Salz, während Wasser schlecht wird oder verrinnt. Wenn wir irgendwo neu landen, trinken wir das Wasser dort, falls es trinkbar ist. Wenn nicht, verfluchen wir es. Glaubst du, das Wasser hier fließt in den Gyoll?«
»Ganz bestimmt, oder in einen größeren Fluß, der in den Gyoll mündet. Willst du zurück in dein Dorf?«
Sie
Weitere Kostenlose Bücher