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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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das jeder kennt. Zu den größten Freuden zähle ich das Mienenspiel des Hetmans beim Anblick des Arms seiner Tochter. Es war eine Mischung aus Staunen und Scheu und heller Freude, so daß ich ihm gern den Bart rasiert hätte, um es besser zu sehen. Herena genoß es wohl ebenso wie ich; als sie sich daran geweidet hatte, umarmte sie ihn und sagte, sie habe uns eine Stärkung versprochen, woraufhin sie im Eingang verschwand, um der Mutter um den Hals zu fallen.
    Sobald auch wir das Haus betreten hatten, schlug die Furcht der Dorfbewohner in Neugier um. Die Kühnsten drängten herein und hockten sich wortlos hinter uns, die wir auf Matten um ein Tischchen saßen, wo die Frau des Hetmans – die unentwegt weinte und sich auf die Lippen biß – unser Festmahl auftrug. Die übrigen lugten durch den Eingang und spähten durch Risse in den fensterlosen Mauern.
    Es gab Pfannkuchen aus zerstoßenem Mais, lädierte Äpfel, die Frost abbekommen hatten, Wasser und (eine Delikatesse, die bei manchem stummen Betrachter den Speichelfluß sichtlich anregte) die Keulen zweier Hasen, die gedünstet, eingelegt und gesalzen waren und kalt serviert wurden. Der Hetman und die Seinen enthielten sich des Fleisches. Ich habe es Festmahl genannt, denn ein solches ist es in den Augen dieser Leute gewesen; die schlichte Seemannskost indes, die wir vor wenigen Wachen auf dem Tender zu uns genommen hatten, wäre im Vergleich dazu ein Bankett gewesen.
    Ich hatte keinen großen Hunger, wie sich zeigte, sondern war müde und ungemein durstig. Ich aß einen Pfannkuchen und kostete lustlos vom Fleisch, während ich reichlich Wasser trank. Dann beschloß ich, daß es weitaus höflicher sei, dem Hetman und seiner Familie nicht alles wegzuessen, wo sie doch offenbar so wenig hatten, und fing an, Nüsse zu knacken.
    Das betrachtete der Gastgeber anscheinend als Aufforderung zum Sprechen. Er sagte: »Ich bin Bregwyn. Unser Dorf heißt Vici. Meine Frau heißt Cinnia. Unsre Tochter Herena. Diese Frau«, – er nickte in Richtung Burgundofara –, »sagt, du bist ein guter Mensch.«
    »Ich heiße Severian. Sie heißt Burgundofara. Ich bin ein schlechter Mensch, der danach strebt, ein guter zu sein.«
    »Wir in Vici erfahren wenig von der weiten Welt. Vielleicht willst du uns sagen, welcher Umstand euch in unser Dorf geführt hat.«
    Obwohl er, um seine Neugier zu stillen, durchaus höflich darum bat, zögerte ich. Er wäre ein leichtes gewesen, den Dorfbewohnern irgendeine Geschichte von einer Geschäftsreise oder einem Pilgergang weiszumachen, und wenn ich gesagt hätte, ich wollte Burgundofara in ihr Dorf am Ozean zurückbringen, so wäre das nicht unbedingt gelogen gewesen. Aber hatte ich das Recht dazu? Um diese Leute zu retten, war ich, wie ich Burgundofara versichert hatte, ans Ende des Universums gegangen. Ich betrachtete die von Arbeit gezeichnete weinende Frau des Hetmans und die Männer mit ihren grauen Bärten und rauhen Händen. Welches Recht hatte ich, sie wie Kinder zu behandeln?
    »Diese Frau«, sagte ich, »stammt aus Liti. Vielleicht kennst du’s?«
    Der Hetman schüttelte den Kopf.
    »Die Leute von Liti sind Fischer. Sie sucht einen Heimweg.« Ich holte tief Luft. »Ich …« Der Hetman beugte sich unmerklich vor, während ich nach Worten suchte. »Ich habe Herena helfen können. Sie ganz machen können. Das weißt du.«
    »Dafür danken wir«, sagte er.
    Burgundofara tippte mich auf den Arm. Als ich sie ansah, sagten mir ihre Augen, daß es gefährlich sein könne, was ich hier tat. Aber das wußte ich selbst.
    »Auch die Urth ist nicht ganz.«
    Der Hetman und alle andern Männer, die mit dem Rücken zur Wand saßen, rückten näher. Ich sah ein paar nicken.
    »Ich bin gekommen, um sie ganz zu machen.«
    Als würde er die Worte unfreiwillig herauslassen, sagte einer der Männer: »Es hat geschneit, ehe das Getreide reif gewesen ist. Schon das zweite Jahr.« Einige nickten, und derjenige, der hinter dem Hetman und somit mir gegenüber saß, bemerkte: »Das Himmelsvolk grollt uns.«
    Ich versuchte zu erklären. »Das Himmelsvolk – die Hierodulen und Hierarchen – haßt uns nicht. Es steht uns nur fern und fürchtet uns dessentwegen, was wir dereinst getan haben, als unsre Rasse noch jung war. Ich bin bei ihnen gewesen.« Ich betrachtete die ausdruckslosen Gesichter und fragte mich, ob mir denn einer glaubte. »Ich habe geschlichtet – die Distanz zwischen uns und ihnen wohl verringert. Sie haben mich zurückgeschickt.«
    In jener Nacht,

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