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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Übernachtungsmöglichkeiten. An fast jeder Anlegestelle fanden sich leere Boote, in die man sich nach Einbruch der Dunkelheit hineinschleichen konnte, um ungestört die Nacht zu verbringen.
    «Also was ist? Zeigst du’s mir?»
    Erwartungsvoll sah Niklas seine Schwester an.
    «A geh, ich weiß nicht   …»
    Eva betrachtete das glänzende Band des Flusses, das sich dem Menschen um diese Jahreszeit so friedlich und geduldig als Fahrstraße anbot – als würde sich dort die Antwort finden. Ein Lastkahn nach dem anderen zog an ihnen vorbei, langgestreckte, flachbodige Zillen und einfache, kastenförmige Plätten, ohne Aufbauten oder Dach, dafür mit hocherhobenem Spitzbug, was aussah, als müsse das Boot krampfhaft die Nase über Wasser halten. Flöße tauchten nur selten auf, dafür immer wieder lange Schiffszüge, dessen einzelne Boote, wie in einem Rosenkranz aneinandergefädelt, dem Ordinarischiff folgten. Schwer beladen lagen sie flussabwärts im Wasser, flussaufwärts musste die Fracht gesegelt oder gerudert, gestakt oder getreidelt werden.
    «Also gut.» Eva sprang auf und glättete ihren Rock. «Versuch, mir die Geldkatze abzunehmen.»
    Langsam näherte Niklas seine Hand ihrer Schürze, fuhr unter den Stoff und zog und zerrte an dem Strick, an dem der Beutel hing.
    «Das kitzelt!» Eva musste lachen und schlug ihm auf dieHand. «So wird das nie was! Hör zu: Das Wichtigste ist, den andern abzulenken oder zu beschäftigen. Das Zweite, dass du blindlings einen lockeren Knoten lösen kannst. Ist er zu fest oder spürst du einen doppelten Knoten, musst sofort die Hand wegziehen. Das schaffst du nämlich nie. Am besten ist’s, du hast eine Scherbe oder Klinge in der Hand. Dann kannst die Schnur durchschneiden. Und das Dritte, das Schwierigste: Der andre darf keinen Fliegenhauch von dir am Körper spüren.»
    «Aber wie soll das gehen?»
    «Das ist Übungssache. Ich war grad so alt wie du, als ich immer zum Schneideroheim in die Werkstatt bin. Damals durft ich bei den Glatzer Bürgersfrauen die Anprobe durchführen. Die feinen Damen sind äußerst empfindlich, hatte der Oheim mir immer gepredigt. Geh so vorsichtig vor, als wärst du ein Taschendieb. Das hab ich getan und wurd immer besser dabei.»
    «Unglaublich!» Niklas sah sie bewundernd an.
    «Ach was, so großartig ist das gar nicht.»
    «Ich will’s nochmal versuchen, bitte! Zähl die Schiffe auf dem Fluss, so laut, dass ich’s höre.»
    «Na gut.»
    Sie zählte mit lauter Stimme vor sich hin, und tatsächlich: Sie spürte Niklas’ Hand erst, als er reichlich ungeschickt an ihrer Geldkatze zupfte.
    «Schon besser», sagte sie. «Aber den Beutel lösen musst du noch üben.»
    Den ganzen restlichen Tag über nötigte Niklas sie immer wieder, stehen zu bleiben, um dann mit geschlossenen Augen an ihrem Geldbeutel zu hantieren. Sie ließ ihn gewähren, obwohl sie das Ganze inzwischen recht albern fand. Weit mehr beschäftigte sie die Sorge, wie sie die nächsten Tage überstehen sollten. Von einem der Bootsleute hatte sie erfahren, dass sie nicht mehr weit von dem Marktflecken Schmidmühlen waren,wo sich Vils und Lauterach vereinten, und damit immer noch gut zwei Tagesmärsche von Regensburg entfernt. Von dort nach Straubing würden es noch einmal zwei, eher drei sein, falls das Wetter umschlug. Und das sah ganz danach aus: Ein kühler Wind hatte die sommerliche Wärme vertrieben, grau und schwer zog sich der Himmel im Westen zusammen.
    Das Schlimmste aber: Sie fühlte sich selbst zunehmend kraftlos. Seit jenem verfluchten Abend in Amberg hatte sie so gut wie nichts mehr gegessen, da sie von ihren kärglichen Rationen immer einen Großteil an den ewig hungrigen Bruder abgegeben hatte. Und das rächte sich jetzt. Immer häufiger schwindelte ihr, begann es ihr vor den Augen zu flimmern. Mal waren ihr die Beine schwer wie Blei, dann wieder gaben sie unter ihr nach, dass sie strauchelte.
    Am Nachmittag gelangten sie an eines der vielen Wehre, die den Fluss für die Schifffahrt anstauten. Sie hätten noch gut zwei Stunden bei Tageslicht weiterwandern können, aber Eva war am Ende ihrer Kraft. An den Stauschleusen mit ihren Anlegestellen für die Schiffe fanden sich immer genügend Menschen, von denen sie sich einen kleinen Mundvorrat erbetteln konnten. Zumal wenn sich, wie hier, eine Mühle am Wehr befand, in der sich die Schiffer und Bootsleute mit Proviant eindeckten.
    «Lass uns hierbleiben», sagte sie zu Niklas und ließ sich vor dem Mühlengarten auf eine

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