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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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beugte, mit Tränen in den Augen, zwinkerte sie ihm zu. Da endlich hatte er begriffen.
    «Schnell, meine Schwester braucht was zu trinken, am besten Starkbier!»
    Jemand brachte einen großen Becher, und Eva zuckte noch drei-, viermal heftig mit den Gliedern, dann brach sie ermattet zusammen. Niklas strich ihr den Schaum von den Lippen und gab ihr zu trinken. Selbst nach dem dritten Schluck schmeckte das Bier noch nach Seife, aber Eva spürte, wie sich ihr Magen mit dem nahrhaften Trank füllte. Sie leerte den Becher fast in einem Zug. «Hunger», murmelte sie schließlich.
    Niklas wandte sich an die Umstehenden. Noch immer liefen ihm die Tränen übers Gesicht.
    «Seid barmherzig und helft uns, um Sankt Vitus und Sankt Valentin willen! Seit Tagen sind wir unterwegs. Wir wurden ausgeraubt und sind halb verhungert, und jetzt werden die Wehtage meiner armen Schwester immer schlimmer.»
    Der Bursche hinter dem Tresen brachte ihnen eine Schüssel voller Kuchenstücke. «Nehmt das, ich schenk es euch. Hauptsache, das Madl kommt wieder zu sich. Vielleicht hat ja das Antoniusfeuer sie erwischt.»
    Letztlich hatte Eva mit dieser Schmierenkomödie den größten Erfolg ihres Lebens. Nicht nur, dass sich Niklas endlich einmal wieder satt essen konnte und sie im Heustadel des Müllersein warmes und weiches Nachtlager bekamen – auch einige Münzen hatten den Weg in ihre leere Geldkatze gefunden. Für ihre weitere Reise zum Regensburger Stadtarzt hatten die Spender ihnen das zugedacht.
    «Du hättest mich vorher warnen müssen», schimpfte Niklas leise, als auf dem Mühlenhof die Stille der Nacht eingekehrt war. «Richtig gemein war das!»
    «Es tut mir leid, Igelchen. Aber denk doch mal nach – hättest du gewusst, was ich vorhab, hättest du niemals so wunderbar weinen können.»
     
    Am nächsten Morgen erwachten sie spät. Von der Lände her drangen die Rufe der Bootsleute zu ihnen herauf, die bereits am Beladen und Ablegen ihrer Schiffe waren.
    Eva streckte sich. Trotz ihres kommoden Nachtlagers hatte sie schlecht geschlafen. Die halbe Nacht hatte ein Gewitter getobt, dazu hatten Albträume sie heimgesucht, in denen immer wieder ihr Stiefvater und ihre Schwester aufgetaucht waren, der eine blutüberströmt, die andere bleich und gel wie eine Leiche.
    Sie trat an die kleine Dachluke. Hinter dem Schleier feinen Nieselregens sah sie auf die Schuttkegel am Ufer, die den Flussschiffen zum Auflaufen dienten. Die meisten der Kähne hatten zum Laden die Bugklappe geöffnet und sahen aus wie riesige Karpfen mit offenen Mäulern. Augenblicklich begann ihr Magen zu knurren. Sie hatte am Vorabend kaum etwas zu sich nehmen können, so ekelhaft hatte alles nach Seife geschmeckt.
    «Haben wir noch von den Kuchenstücken?», fragte sie Niklas, der verschlafen neben sie getreten war.
    Der schüttelte den Kopf und sah verlegen zu Boden. «Nur noch ein paar Apfelringe», murmelte er. «Ich hatt heut Nacht nochmal solchen Hunger. Sei mir nicht böse. Bitte!»
    Eva seufzte. In letzter Zeit schien ihr Bruder – wenn er dennetwas bekam – Berge verdrücken zu können, ohne jemals satt zu werden.
    «Schon recht», sagte sie und griff in ihre Geldkatze. «Geh runter und schau, dass du ein bisserl Brot und Käse bekommst. Und falls du den Müller triffst, bedank dich nochmal bei ihm.»
    Nachdem Niklas die Leiter hinuntergeklettert war, spähte sie wieder nach draußen. Alles schimmerte in feuchtem Grau: die Biegung des Flusses, die Wiesen dahinter und die Auwälder, der schwere Himmel, der die Berge im Hintergrund nur erahnen ließ. Es sah nicht so aus, als würde es in nächster Zeit zu regnen aufhören. Vielleicht sollten sie den Müller bitten, ihnen auf eine weitere Nacht Obdach zu gewähren. Ihr fiel ein Lied ein, dass ihre Schwester sie einst gelehrt hatte:
Es geht ein dunkle Wolk herein, mich deucht, es wird ein Regen sein, ein Regen aus den Wolken, wohl in das grüne Gras.
    Niklas ließ sich unendlich Zeit. Eva fragte sich, was er so lange draußen trieb bei diesem Mistwetter. Ungeduldig kletterte sie nach unten und ging im Halbdunkel des Stadels auf und ab. Endlich öffnete sich die Holztür.
    «Hast du das Brot erst backen müssen?», fragte sie unwirsch.
    Niklas grinste zufrieden. Sein Haar klebte nass an der Stirn, in den Armen hielt er einen gutgefüllten Leinenbeutel.
    «Hier, fass an. Es ist frisch aus dem Ofen, noch ganz warm. Dazu Käse und Wurst.»
    Sie setzten sich auf eine Kiste. Das Brot schmeckte herrlich, der Käse war

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