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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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steinerne Bank sinken. Es duftete nach Rosen und Kräutern. Müde schloss sie die Augen und hielt ihr Gesicht in die Sonne, die gerade noch über die dunkle Wolkenwand lugte. Es würde gewiss bald regnen.
    Niklas setzte sich neben sie. «Ist dir nicht wohl? Du bist ganz bleich.»
    «Bin nur müde, sonst nichts.»
    Er legte ihr den Arm um die Schultern und lehnte sich an sie. Da plötzlich fühlte sie eine unermessliche Liebe für diesenschmächtigen Jungen, der sich so tapfer an ihrer Seite durch die Welt schlug. Ihr Bruder brauchte nichts dringender als ein Zuhause, den Schutz einer Familie, in der er heranwachsen konnte, ohne ständig Hunger oder Angst haben zu müssen. Sie sah ihn vor sich, als stattlichen jungen Mann, der sich lachend nach dem Morgenessen verabschiedete, um in seine Werkstatt zu gehen, wo er als Geselle sein Brot verdiente. Sah ihn an der Seite einer jungen Frau, die einen Säugling auf dem Arm hielt. Sah ihn die junge Frau zärtlich küssen. So tröstlich war dieses Bild, das ihr wie aus einem fernen Traum vor dem inneren Auge stand. Dann hörte sie eine Stimme. Nicht die von Niklas, sondern eine Stimme, warm und weich wie Samt.
Ich kann dich nicht gehen lassen. Es wird bald dunkel
, hörte sie ganz deutlich die Worte. Wer sagte das zu ihr? Wer hielt sie da so fest im Arm, als wolle er sie nie wieder loslassen?
    «Ich hab’s geschafft!»
    Eva schrak aus ihrem Dämmerzustand und blickte verwirrt um sich. Niklas hielt ihr die Geldkatze unter die Nase. Seine Augen blitzten vor Stolz.
    «Und du hast überhaupt nichts gemerkt!»
    «Ach, Niklas.» Ihr Kopf schmerzte. «Vielleicht hab ich ja geschlafen.»
    «Nein, nein, du hast ja die ganze Zeit über irgendwas geredet. Warum freust du dich nicht?»
    «Ich freu mich ja.» Sie strich ihm übers Haar. «Und jetzt seh ich mich mal um, wie wir zu unserem Abendbrot kommen. Rühr dich nicht weg, verstanden?»
    Die Mühle erwies sich als ein riesiges Anwesen, mit mehreren Nebengebäuden, Gemüse- und Blumengärten und einem weitläufigen, gepflasterten Hof, der sich zur Schiffslände hin öffnete. Hier war ein Schragentisch aufgebaut, an dem Bier, Backwaren und Feldfrüchte feilgeboten wurden. Evas Aufmerksamkeithingegen war von etwas anderem gefangen: Ein wenig abseits der Mühle, auf einer flach ansteigenden Uferwiese, lagen etliche Leintücher und Wäschestücke zum Bleichen ausgebreitet. Eine Magd schickte sich eben an, sie einzusammeln, als ein junger Bursche vom Waldrand her auftauchte und ihr zuwinkte. Die beiden verschwanden im Buschwerk, ganz offensichtlich zu einem heimlichen Stelldichein.
    Langsam schlich Eva das Ufer entlang bis zu einer Stelle, wo mächtige Steine im Wasser lagen. Das Waschbrett und die Weidenkörbe verrieten, dass hier die Wäsche gewaschen wurde. Eva blieb stehen und warf begehrliche Blicke auf die blütenweißen Tücher, die auf dem Grün der Wiese leuchteten. Eines war aus Damast, mit feinen Spitzen. Ein solches Tuch würde sie um ein Leichtes gegen zwei paar Holzschuhe eintauschen können!
    Sie kämpfte mit sich. Noch immer war sie unbeobachtet. Sie könnte das Tuch unter ihrer Schürze verstecken und mit Niklas von hier verschwinden. Waren sie auf dem Hinweg nicht an einem Zigeunerlager vorbeigekommen? Bei solchen Leuten konnte man doch jederzeit Diebesgut verhökern.
    Aber was würde sie dann Niklas erzählen? Noch nie in ihrem Leben hatte sie wirklich gestohlen. Da fiel ihr Blick auf einen der Körbe, in dem mehrere Bröckelchen Seife lagen. Das war die Lösung! Rasch langte sie in den Korb, nahm das kleinste Stück heraus und eilte zurück zu Niklas. Der lag dösend auf der Bank.
    «Los, komm. Wir holen uns ein Almosen drüben am Ausschank. Ich hab einen guten Einfall. Versprich mir nur eins: Du musst betteln, ganz gleich, was geschieht.»
    Vor dem Schragentisch hatte sich inzwischen eine Menge Volk angesammelt. Ohne dass Niklas es merkte, steckte sich Eva die Seife in den Mund. Es schmeckte grauenhaft. Sie bewegte Zunge und Lippen, bis es schäumte, dann sackte sie mitten indem Menschenauflauf in die Knie. Sie warf den Kopf in den Nacken, verdrehte die Augen, verrenkte Arme und Beine in wilden Zuckungen, heulte und wimmerte dabei wie von Sinnen. Niklas schrie vor Schreck auf.
    Aus dem Augenwinkel sah Eva, wie die Menschen sie anstarrten, entsetzt, aber auch voller Mitleid.
    «Dreiheiligemadln – helft!», riefen die einen, andere: «Haltet sie fest, damit sie sich nicht verletzt.»
    Als sich auch Niklas über sie

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