Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
Vom Netzwerk:
erleichtert, seine Seele geläutert zu wissen. Silber ist inzwischen schwer zu beschaffen. Sämtliche Münzen sind aus Gold oder Kupfer. Während der Geldumstellung hortete ich Threepennies und opferte das Tafelbesteck meiner Mutter. Die Instrumente besitze ich seit meiner Zeit in Purfleet. Nun sind die Klingen plattiert, ein hartstählerner Kern, umhüllt von todbringendem Silber. Dieses Mal wählte ich das Obduktionsskalpell. Es ist nur recht und billig, meine ich, sich eines Werkzeugs zu bedienen, das dazu bestimmt ist, in Leichen zu wühlen.
    Das tote Mädchen lockte mich zu seiner Tür und raffte die Röcke hoch über schlanke, weiße Beine. Ich nutzte den Augenblick, seine Bluse zu öffnen. Brennend vor Schmerz, tasteten meine Finger ungeschickt umher.
    »Deine Hand?«
    Ich hob die plumpe, behandschuhte Faust und versuchte ein Lächeln. Es küsste meine geballten Knöchel, und ich ließ die andere Hand unter dem Mantel hervorgleiten, das Skalpell fest umklammernd.
    »Eine alte Wunde«, sagte ich. »Nichts weiter.«
    Es lächelte, und rasch zog ich meine Silberklinge unter festem Druck des Daumens quer über seinen Hals, schnitt tief in makelloses,
totes Fleisch. Seine Augen weiteten sich vor Schreck - Silber tut weh -, und es stieß einen langgezogenen Seufzer aus. Schmale Blutrinnsale tröpfelten wie Regen gegen eine Fensterscheibe und befleckten die Haut über dem Schlüsselbein. Ein einzelner Blutstropfen trat aus seinen Mundwinkel hervor.
    »Lucy«, sagte ich, voll der Erinnerung …
    Ich hielt das Mädchen aufrecht, beschirmte es mit meinem Körper vor den Blicken von Passanten und stieß ihm das Skalpell durch den Schnürleib ins Herz. Ich spürte, wie es erschauerte und leblos hinsank. Aber da ich um die Zähigkeit der Toten weiß, gab ich mir alle Mühe bei der Verrichtung meines Geschäfts. Ich legte es nieder im Treppenraum unter dem Trottoir und führte die Entbindung zu Ende. Es hatte nur wenig Blut in sich; es war heute Abend offenbar ohne Nahrung geblieben. Nachdem ich ihm das Korsett vom Leib geschnitten hatte - die Klinge ging mit Leichtigkeit durch den billigen Stoff -, legte ich das durchbohrte Herz frei, löste die Eingeweide vom Gekröse, entwirrte gut ein Yard des Grimmdarms und entfernte die Nieren sowie einen Teil des Uterus. Dann vergrößerte ich die erste Inzision. Nachdem ich die Wirbelsäule freigelegt hatte, zerrte ich den baumelnden Kopf hin und her, bis die Nackenknochen brachen.

2
    Geneviève
    L autes Hämmern drang in ihre Finsternis. Beharrliche, wiederholte Schläge. Fleisch und Knochen gegen Holz.
    Im Traum war Geneviève in ihre Mädchenjahre im Frankreich des Spinnenkönigs, der Pucelle und des monströsen Gilles zurückgekehrt.
Zu Lebzeiten war sie die Tochter des Feldscherers gewesen und nicht eine von Chandagnacs Geblüt. Vor ihrer Verwandlung, vor dem dunklen Kuss …
    Ihre Zunge glitt über vom Schlaf verklebte Zähne. Sie hatte den Geschmack ihres eigenen Blutes im Munde, anekelnd und leicht erregend.
    Das Hämmern in ihrem Traum rührte von einem Klöppel her, mit dem auf die Spitze eines entzweigebrochenen Bauernspießes eingedroschen wurde. Der englische Captain mordete ihren Fangvater wie einen Schmetterling, nagelte Chandagnac an die blutgetränkte Erde. Eines der wenigen denkwürdigen Scharmützel des Hundertjährigen Krieges. Barbarische Zeiten, die sie der verdienten Vergessenheit anheimgefallen hoffte.
    Das Hämmern hielt an. Sie öffnete die Augen und suchte sich auf das getrübte Glas des Oberlichts zu konzentrieren. Die Sonne war noch nicht vollends versunken. In einem Nu verflog ihr Traum, und sie war wach, als hätte man ihr eine Gallone Eiswassers ins Gesicht geklatscht.
    Das Hämmern verstummte. »Mademoiselle Dieudonné«, brüllte jemand. Es war nicht der Direktor, der sie mit dringenden Gesuchen für gewöhnlich aus dem Schlaf riss, und doch kam ihr die Stimme bekannt vor. »Öffnen Sie die Tür. Scotland Yard.«
    Sie setzte sich auf, und das Betttuch glitt ihr von den Schultern. Sie schlief in ihren Unterkleidern auf dem Fußboden, auf einer Decke, die über die grob behauenen Dielen ausgebreitet lag.
    »Silver Knife hat wieder zugeschlagen.«
    Sie hatte sich in ihrer winzigen Amtsstube in Toynbee Hall zur Ruhe gelegt. Hier konnte sie gefahrlos wie sonst nirgends die wenigen Tage des Monats verbringen, an denen die Mattigkeit sie überkam und sie den Schlaf der Toten schlief. Unmittelbar unter dem Dach des Gebäudes gelegen, verfügte das Zimmer

Weitere Kostenlose Bücher