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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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allein über ein winziges Oberlicht, und die Tür ließ sich von innen verschließen.
Es genügte ihren Zwecken, so wie Särge und Grüfte denen vom Geblüt des Prinzgemahls genügten.
    Sie stieß einen beschwichtigenden Seufzer hervor, und das Hämmern blieb aus. Sie räusperte sich. Ihr seit Tagen ruhender Körper knackte in den Gelenken, als sie sich reckte. Eine Wolke schob sich vor die Sonne, und einen Moment lang ließen die Schmerzen nach. Sie stand im Dunkeln auf und fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. Die Wolke zog vorüber, und ihre Kraft schwand dahin.
    »Mademoiselle?«
    Das Hämmern begann von neuem. Die Jugend war voller Ungestüm. Einst war sie ebenso gewesen.
    Geneviève nahm einen Schlafrock aus chinesischer Seide von einem Haken und warf ihn sich über. Dies war zwar nicht eben die von der Etikette vorgeschriebene Kleidung, um Herrenbesuch zu empfangen, würde jedoch fürs Erste genügen müssen. Die Etikette, vor wenigen Jahren noch von allergrößter Wichtigkeit, verlor immer mehr an Bedeutung. In Mayfair schliefen sie in mit Erde ausgekleideten Särgen, und auf der Pall Mall gingen sie in Rudeln auf die Jagd. In diesem Jahr galt der korrekten Form der Anrede eines Erzbischofs schwerlich ein übermäßiges Interesse.
    Schlaftrunken schob sie den Riegel zurück. Draußen neigte sich der Nachmittag dem Ende zu; ihre Verfassung würde sich erst bessern, wenn die Nacht sie wiederhatte. Sie zog die Tür auf. Ein gedrungener Neugeborener stand im Flur; er trug den langen Mantel lose um die Schultern, und seine Finger spielten nervös mit einem Bowler.
    »Sie gehören gewiss nicht zu jenen Menschen, die eine Einladung benötigen, um ihren Antrittsbesuch abzustatten, nicht wahr, Lestrade?«, erkundigte sich Geneviève. »Das wäre auch überaus hinderlich für einen Mann Ihres Fachs. Nun gut, kommen Sie herein, kommen Sie herein …«

    Sie trat beiseite und ließ den Mann von Scotland Yard ein. Scharf gezackte Zähne ragten aus seinem Mund, die auch der kümmerliche Schnurrbart nicht verbergen konnte. Schon zu Lebzeiten hatte er ausgesehen wie eine Ratte; die spärlichen Barthaare nun machten ihn zu deren vollkommenem Ebenbild. Seine Ohren veränderten sich, sie wurden lang und spitz. Wie die meisten Neugeborenen vom Geblüt des Prinzgemahls hatte er seine endgültige Gestalt noch nicht gefunden. Obgleich er eine Rauchglasbrille trug, ließen karmesinrote Punkte hinter den Linsengläsern lebhafte Augen erahnen.
    Er legte seinen Hut auf ihren Schreibtisch.
    »Letzte Nacht«, begann er hastig, »in der Chicksand Street. Die reinste Metzelei.«
    »Letzte Nacht?«
    »Verzeihung.« Sich auf ihre Ruhezeit besinnend, holte er Atem. »Heute ist der siebzehnte September.«
    »Dann habe ich drei Tage geschlafen.«
    Geneviève öffnete ihren Schrank und betrachtete die wenigen Kleidungsstücke darin. Zu feierlichen Anlässen fehlte ihr die passende Garderobe. Es war jedoch kaum zu erwarten, dass sie in naher Zukunft zu einem Empfang in den Palast geladen würde. Das einzige ihr verbliebene Schmuckstück war das winzige Kruzifix ihres Vaters, das sie allerdings nur selten trug, aus Angst, ein empfindsamer Neugeborener könne auf dumme Gedanken kommen.
    »Ich hielt es für das Beste, Sie zu wecken. Alles befindet sich in hellstem Aufruhr. Die Gemüter sind erhitzt.«
    »Das war sehr vernünftig von Ihnen«, sagte sie und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Noch die letzten Splitter Sonnenlichts, die durch das getrübte Glasgeviert hereinfielen, waren wie Eiszapfen, die ihr in die Stirn getrieben wurden.
    »Sowie die Sonne untergegangen ist«, sagte Lestrade soeben,
»bricht die Hölle los. Die Sache könnte sich zu einem zweiten Blutsonntag auswachsen. Man munkelt sogar, Van Helsing sei zurückgekehrt.«
    »Das würde dem Prinzgemahl gewiss gefallen.«
    Lestrade schüttelte den Kopf. »Nichts als ein Gerücht. Van Helsing ist tot. Sein Kopf steckt fest auf seinem Pfahl.«
    »Haben Sie das überprüfen lassen?«
    »Der Palast steht unter ständiger Bewachung. Der Prinzgemahl hat seine Karpater um sich versammelt. Unsereins kann gar nicht vorsichtig genug sein. Wir haben viele Feinde.«
    »Unsereins?«
    »Die Untoten.«
    Geneviève hätte beinahe laut aufgelacht. »Ich gehöre nicht zu Ihresgleichen, Inspektor. Sie stammen von Vlad Tepes ab, ich von Chandagnac. Wir sind bestenfalls entfernte Verwandte.«
    Der Detective zuckte schnaubend mit den Achseln. Ihre Abstammung bedeutete den Vampiren Londons nicht sehr

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