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Die Vampirin - Lieber untot als todlangweilig

Titel: Die Vampirin - Lieber untot als todlangweilig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lewis Harris
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Mom.
    »Ich weiß, aber dein Vater wird sich um alles kümmern.« Mom umarmte mich und wuschelte durch mein Haar. Ihre Gesichtslotion - etwas mit Zimt - kitzelte meine Nase. »Ich verstehe nur nicht, warum Mrs Bones ihr Tagebuch unbedingt mitten in der Nacht zurückhaben wollte.« Sie schüttelte den Kopf und küsste mich auf die Stirn. »Sie wird sicher wieder gesund.«

    Nachdem Dad aus dem Haus gerannt war und uns unter dem Baumhaus entdeckt hatte, hatte Mrs Bones überwiegend geschwiegen und ihm eigentlich nur gesagt, es gehe ihr gut, sie habe sich aber womöglich ein Bein gebrochen; ansonsten war sie recht oft vor Schmerz zusammengefahren, vor allem, um nicht zu viel sagen zu müssen. Sie übermittelte mir gedanklich eine Geschichte, die ich Dad unterjubelte. Ich erklärte ihm, Mrs Bones habe mir am Nachmittag ihr Reisetagebuch geliehen, dann aber nicht schlafen können und sei in der Nacht gekommen, um das Buch aus dem Baumhaus zu holen, wo ich es, wie sie wusste, aufbewahrte.
    »Sie müssen das furchtbar seltsam finden«, sagte Mrs Bones und räusperte sich, wobei sie erneut zusammenfuhr und meinen Vater aufrichtig verlegen ansah. »Ich habe mich einfach an eine wichtige Einzelheit erinnert, die ich in dem Buch aufzeichnen wollte. Ich befürchtete, sie zu vergessen. Ich habe ein grässliches Gedächtnis, wissen Sie. Es ist entsetzlich, dass ich nachts so wenig schlafe. Es ist mir schrecklich unangenehm, Ihnen so viele Umstände zu machen.«
    »Nein, nein«, versicherte Dad, obwohl er sichtlich perplex war. »Seien Sie einfach... äh... ruhig. Der Krankenwagen ist schon unterwegs.«
    Die alte Frau und ich tauschten heimlich einen Blick.

    Kurz darauf kam Mom nach draußen. Weder sie noch Dad merkten, dass ich bei Mrs Bones’ Sturz im Baumhaus gewesen war. Beide nahmen an, ich sei auf Razors Gebell hin kurz vor Dad in den Garten gelaufen.
    Als ich nun wieder hoch in mein Zimmer ging, fragte Mom: »War dein Besuch bei Mrs Bones gestern nett?«
    »Ja, sie ist cool.«
    »Und du hältst sie nicht für etwas...« Mom neigte den Kopf ein wenig zur Seite und zwinkerte mir zu, wie sie es immer tat, wenn sie jemanden für ein bisschen wahnsinnig hielt.
    »Du meinst wie Oma Grimm?« Das war die Mutter meines Dads, nach der ich benannt war und die ich für etwas verrückt hielt.
    Mom verzog das Gesicht, aber ihre Augen zeigten, dass sie es nicht so meinte. »Sei nicht gehässig«, mahnte sie mich.
    »Bin ich doch gar nicht! Mrs Bones ist ganz und gar nicht wie Oma Grimm - sie ist gesund.«
    Mom gab mir mit beiden Händen zu verstehen, dass ich ins Bett gehen und mich wieder schlafen legen sollte. »Dein Vater wird uns beiden später berichten.«
    Und erstaunlicherweise schlief ich tatsächlich ein, doch es war kein erholsamer Schlaf. Von Albträumen
geplagt, warf ich mich unter meinem Bett herum. In diesen Träumen schlug Miss Larch mit rot lackierten Krallen nach mir und lachte dazu gackernd. Ihre Zähne hatten sich verändert und waren nun spitz und rasiermesserscharf wie die eines Hais. Ich stolperte durch die Dunkelheit des Schlafs und stürzte immer wieder, bis ich schließlich aus dem Baumhaus fiel, aber nicht auf dem Boden landete, sondern auf einem Teppich toter Rotkardinäle und Goldfische. Ein Meer lebloser Augen, schwarz und mit einer dünnen Pergamentschicht überzogen...
    Mein Hahnenwecker zeigte schon fast Mittag, als ich endlich zitternd, hungrig und mit pelziger Zunge hochschrak. Als Erstes kam mir Mrs Bones in den Sinn - wie es ihr wohl ging? Dann dachte ich an die vermissten Mädchen. Und dann an Nudeln mit roter Venusmuschelsoße, von denen am Abend etwas übrig geblieben war.
    Mein Magen knurrte.
    »Mrs Bones muss vielleicht ein, zwei Tage im Krankenhaus bleiben«, verkündete Mom und schob einen angewärmten Teller mit roten Nudeln über den Tisch auf mich zu. Ich hörte Dad am Baumhaus hämmern und die Falltür so umbauen, dass sie sich von selbst schloss, wenn jemand das Versteck betrat oder verließ.
    »Das hätte er früher tun sollen«, sagte Mom tadelnd und sah aus dem Fenster.

    Aber eigentlich war es meine Schuld gewesen, da ich mir nie die Mühe gemacht hatte, die Falltür zu schließen.
    »Stell dir vor, Mrs Bones hätte sich das Genick gebrochen. Oder du wärst mit einem Knochenbruch ins Krankenhaus gekommen.«
    »Ich bin vorsichtig«, beruhigte ich sie.
    Nach dem Essen ging ich nach draußen. Dad kam gerade die Leiter herunter und sagte, Mrs Bones habe sich nur das Wadenbein gebrochen.

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