Die Vampirin - Lieber untot als todlangweilig
Knack! Ich hasste dieses Geräusch und fuhr zusammen, weil ich mir vorstellte, mein eigenes Bein würde brechen.
»Der Arzt meint, sie kann vielleicht schon morgen wieder nach Hause, wenn es keine Komplikationen gibt«, fügte Dad hinzu. »Ich hab ihr gesagt, sie soll anrufen, damit ich sie vom Krankenhaus abholen kann.« Er ordnete sein Werkzeug in der Werkzeugkiste und fuhr sich dann mit dem Ärmel seines verschwitzten Hemds über die nasse Stirn (er schwitzt immer unglaublich). »Oje«, seufzte er. »Stell dir vor, die arme Frau hätte sich bei dem Sturz den Hals gebrochen.«
»Sie wird uns schon nicht verklagen, Dad«, sagte ich, doch seine Miene verriet mir, dass mein Versuch, witzig zu sein, bei ihm nicht gut ankam.
Er warf einen Blick zum Baumhaus hinauf. »Du
bist nun vielleicht sowieso etwas zu alt dafür, Stephanie.«
Ich ließ ihm den Namen durchgehen. »Zu alt, um einen Platz für mich allein zu haben?«
»Ach, dagegen hab ich nichts«, sagte er. »Wir können es uns nur nicht leisten, dass die Nachbarn uns wie Eicheln von den Bäumen fallen.« Er nahm die Werkzeugkiste und ging zur Garage. »Gut möglich, dass du Mrs Bones in den nächsten Wochen einige Mahlzeiten bringen musst.«
Was ich nur zu gern täte, versicherte ich und folgte ihm.
»Die arme alte Dame hat hier keine Angehörigen.«
»Ich mach das schon.«
Er lächelte mich mit strahlenden Augen an und nannte mich ein gutes Mädchen, was mir ein ziemlich mieses Gefühl gab. Was würde er denken, wenn er wüsste, dass ich nicht völlig ehrlich war? Ich fand es grässlich, ihn anzulügen (und Mom ja auch), denn das tat ich eigentlich - auch wenn ich mich damit beruhigte, ihnen bloß einen Teil der Wahrheit zu verschweigen.
Ich fragte, ob es okay sei, wenn ich etwas mit dem Rad herumkurve, und er hatte nichts dagegen. Ich fuhr die von Bäumen gesäumte Cherry Street entlang. Es war wieder ein schöner Tag. Der Wind wehte schwach, es war sonnig, gut gelaunte Leute waren
unterwegs, herrliche Vögel sangen, und Schmetterlinge flatterten von Blüte zu Blüte. Ein Postkartenidyll - und ganz und gar keine Welt, in der Ungeheuer umherstreiften und Biolehrerinnen Sechstklässler entführten und ihnen das Blut aussaugten.
Konnten Sandy Cross und ihre Freundinnen tatsächlich noch am Leben sein? Seit drei Tagen wurden sie nun vermisst. Die Polizei suchte weiter den Wald ab, und Plakate mit ihren Fotos flatterten noch immer an den Telefonmasten, doch all das hatte zu nichts geführt. Ich versuchte, mir die drei vorzustellen, schaffte es aber nicht. Wo mochten sie versteckt sein? In Larchs geheimem Schlupfwinkel? Sie konnte ja nur in einem Schlupfwinkel wohnen! Das jedenfalls schien der wahrscheinlichste Ort, um nach den Mädchen zu suchen. Allerdings hatte ich keine Ahnung, wo er sein mochte.
Doch ich wusste, wie ich es vermutlich herausbekam.
Eins war sicher: Ich musste einen Plan entwickeln. Alles hing nun von mir ab. Mrs Bones hatte sich das Bein gebrochen und würde mir vorerst nicht direkt helfen können - auch nicht nach ihrer Rückkehr aus dem Krankenhaus (ob nun morgen oder übermorgen). Außerdem war sie so was von uralt, dass sie unfähig wäre, wenn es hart auf hart käme. Sie hatte es ja selbst gesagt: Der Kensington-Vampir musste umgehend
gestoppt werden, ehe ihm noch jemand in die Fänge geraten konnte.
Ich fuhr die Cherry Street zurück und drosselte das Tempo, bevor ich unser Haus erreichte. Ich schlich mich in die Einfahrt der Knochenlady, schob mein Rad zur Rückseite ihres Backsteinhauses und blickte sofort dorthin, wo der Rotkardinal gestorben war, doch der arme Vogel war verschwunden. Ich stellte mir vor, dass Mrs Bones ihn begraben hatte. Vergiftet! Dabei hätte ich das Opfer sein sollen!
Die Hintertür war nicht abgeschlossen, und ich schlüpfte ins Haus. Drinnen war es ganz still, und der Duft nach frischen Keksen, der von der alten Frau ausging, erfüllte alle Zimmer. Auf Zehenspitzen schlich ich durch die fast leeren Räume und lauschte aufmerksam. Im Arbeitszimmer standen Kartons, die fast alle ungeöffnet waren. Das Schlafzimmer im Obergeschoss war so gut wie leer - bis auf ein schmales Bett an der Wand, ein schwarzes Paar Schuhe in der Ecke und ein Fernglas auf dem Fenstersims. Von dort blickte man über den Zaun in unseren Vorgarten. Ich sah das Baumhaus und Dad, der in der Einfahrt unseren Wagen wusch. Razor saß mitten im Vorgarten und sah zu dem Fenster hoch, an dem ich stand. Er neigte neugierig den Kopf zur
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