Die Vampirin - Lieber untot als todlangweilig
bald darauf sollte ich eine trauernde Witwe sein.
Ihr Gesicht wirkte wie versteinert. Ihre Augen - graue Kieselsteine - warfen das Licht zurück. Die Gedanken der alten Frau nahmen wie immer dichter werdender Rauch in meinem Kopf Gestalt an.
Mein liebster David, mit dem ich kaum ein Jahr vierheiratet war, verlor sein Leben durch das wahllose Wüten eines schwarzherzigen Ghuls. So erfuhr ich vom Roten Zirkel - und er von mir. David war Polizist. Er und seine Leute wussten ja nicht, mit welchem Übel sie rangen. Später habe ich diesen Ghul selbst vernichtet, als ich noch mit Daphne St. Simone arbeitete, der wohl begnadetsten Vampirnase, die je das Rot des Zirkels trug.
Sie schlug den Kragen ihres Hausmantels herunter, und ein purpurner Stein war zu sehen. Er war rot, schimmerte im Kerzenlicht aber beinahe schwarz und hing ihr an einer Silberkette um den Hals. Die Kette war dünn, und der flache Stein hatte nur die Größe eines Daumennagels.
Eine Vampirnase?
Lenora Bones tippte an ihre Nasenspitze. Genau wie wir.
Aber was sind wir?
Wir sind die Wissenden in einem Meer von Ahnungslosen.
Wir spüren es, wir sehen und riechen es, ja, wir fühlen es in der Luft. Unsere Sinne sind enorm geschärft und auf die Rhythmen der belebten und unbelebten Natur gestimmt. Wir nehmen das Groteske und Abweichende wahr.
Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, und sagte schließlich nur: »Wow!« Die alte Frau musterte mich reglos.
Ich dachte: Gut, es gibt also diese Gruppe von Leuten wie mich, die... Aber warum essen wir nur rote Sachen?, fragte, nein, dachte ich.
Du kannst, essen, was du magst, aber Rot schmeckt einfach besser.
Das stimmte allerdings.
Meine Beine wurden vom Sitzen auf dem Boden langsam steif, und ich rappelte mich auf. Der Holzboden war kalt und knackte, als ich hin und her ging. Grillen zirpten im Mondlicht. Aber was tun wir? Sie sagen ... Sie sagen, Sie arbeiten für den Roten Zirkel?
Ich würde nicht sagen, dass ich für ihn arbeite. Wir sind einfach der Rote Zirkel, Liebes. Wir sind ... eigentlich eine Art Klub.
Aber Sie bekamen die Aufgabe, den Kensington-Vampir zu vernichten?
Ja. Aber nicht im Sinne eines Arbeitsauftrags. Es ist eher eine... Berufung. Es ist wie bei einem Menschen, der Flügel hat - der muss doch wohl fliegen, oder?
Hmm... wahrscheinlich. Ich konnte bei all dem nur keinen Vorteil sehen. »Tja«, begann ich, dachte dann aber: Wozu ist das alles gut? Ich meine: das Groteske und Abweichende wahrnehmen - wer will das schon?
Lenora Bones lachte laut los, und ich stand mit in die Hüften gestemmten Händen da und wartete, dass sie aufhörte, was sie schließlich auch tat, wobei sie weiter grinsend den Kopf schüttelte. »Svetlana, wenn du die Sache so siehst, gibt es vermutlich keinen Vorteil - bis auf die Tatsache, dass man den Bedürftigen helfen kann. Deine Begabung, von der du natürlich sagen kannst, es sei keine, bedeutet auch Verantwortung. Eine Pflicht, die Unschuldigen zu schützen.«
»Das Böse zu bekämpfen?«
»Tja...« Die alte Frau schwieg. Ich konnte fast sehen, wie sich die Räder in ihrem Kopf drehten, und ich spürte, wie ihre Gedanken sich formten. Ich verstand sie auch ohne Worte.
»Wie stoppen wir also den Kensington-Vampir?«, fragte ich.
Lenora Bones ergriff meine Hand und hielt sie zwischen ihren zarten Fingern. »Armes, armes Mädchen.« Sie küsste mir sanft die Fingerknöchel und drückte mir die Lippen auf den Handrücken. »Ich wünschte, wir müssten nicht handeln, doch das müssen wir, und zwar bald. Wir müssen schnell vorgehen, um die vermissten Mädchen zu retten.«
»Dann leben Sandy und ihre Freundinnen also noch?«
»Gut möglich. Vampire brauchen regelmäßig frisches Blut, täglich aber nur einen halben Liter. Wenn es sich machen lässt, halten sie ihre Opfer tage- oder sogar wochenlang am Leben und saugen ihnen langsam die Lebenskraft aus.«
Irgendwie stellte ich mir eine verrückte Molkerei vor. Widerlich! »Als würde man eine Kuh melken, meinen Sie?«
»Na ja... nicht ganz so. Ich würde nicht von einer Kuh sprechen. Aber... ja - irgendwie schon so, nehme ich an.«
»Aber wie können wir sie aufhalten?«
Lenora Bones öffnete ihr schwarzes Buch und blätterte zum dreizehnten Kapitel vor: Vampire und die Vergiftung des Blutes. Sie fuhr mit knochigem Finger die Seite herunter. »Ein in den Saft der Kalangabeere getauchter Pfeil ist die ideale Waffe, doch diese Beere wächst nur zu einer Jahreszeit und vor allem auf
Weitere Kostenlose Bücher