Die verbannte Braut (German Edition)
seinen Blut unterlaufenden Augen an. Erschrocken wich ich zurück.
"Du verzogenes Balg! Dir fehlt es an Respekt! Ich hatte eigentlich erwartet, dass ein Sprössling meines Schwagers an Zucht und Ordnung gewöhnt sein würde. Immerhin war er ein respektabler Mann von hohem Ansehen. Scheinbar war er mit dir zu nachsichtig, hat dich verhätschelt. Aber jetzt werden hier andere Seiten aufgezogen. Ab sofort verlässt du dieses Haus nur mit meinem Einverständnis. Keine Ausritte mehr auf eigene Faust. – Haben wir uns verstanden?"
Ich nickte eingeschüchtert, doch in meinem Inneren kochte ein rebellischer Zorn. Ich unterdrückte die Worte, die mir auf der Zunge lagen, war ich mir doch bewusst, dass jeder Versuch, sich offen gegen meinen Onkel aufzulehnen, vergeblich, ja vielleicht sogar gefährlich sein würde. Ich traute ihm ohne Weiteres zu, dass er mich wie ein Kind übers Knie legen würde, um mich zu schlagen. Und so blieb ich fügsam, wie auch Mutter es stets gewesen war, eine Rolle, in der ich mich alles andere als wohlfühlte, doch irgendwie musste ich die nächsten sechs Monate überleben.
***
Kapitel 1
22. Juni 1888
Drei Monate lebte Onkel James nun schon unter meinem Dach. Ich hatte mittlerweile herausgefunden, dass er zwei Gesichter besaß. Er konnte die Liebenswürdigkeit in Person sein. In Anwesenheit von Gästen mimte er den netten Onkel, der um seinen Schützling besorgt war und nur das Beste wollte. Dann wieder konnte er launisch und jähzornig sein und die Bediensteten fürchteten ihn. Besonders alle weiblichen von entsprechendem Äußeren. Onkel James stellte den jungen Mädchen nach und versuchte gar nicht erst, diese unmoralischen Aktivitäten vor mir zu verheimlichen. Er neckte mich sogar mit obszönen Andeutungen und lachte mich aus, wenn ich vor Scham errötete. Auch ich fühlte mich vor ihm nicht sicher. Mehrmals schon hatte er mich auf eine Weise angefasst, die alles andere als akzeptabel war und ich versuchte, ihm tunlichst aus dem Weg zu gehen. Niemand war da, der mich vor seinen Annäherungen beschützen würde. Ich war ganz auf mich gestellt. Ein beängstigender Gedanke.
Eines Abends saßen wir zusammen im kleinen Salon. Onkel James bestand darauf, dass ich ihm nach dem Essen stets noch ein Stündchen Gesellschaft leistete. Ich hasste diese erzwungene Zweisamkeit, war aber froh, dass er keinerlei Unterhaltung von mir zu erwarten schien. Er war ohnehin kein besonders redseliger Mann.
Gedankenverloren starrte ich auf meine Stickarbeit, ohne auch nur einen Stich getan zu haben. Handarbeit war nicht gerade meine Stärke, aber Onkel James bestand darauf, dass ich mich "wie eine junge Dame benahm". Mutter hatte oft vergeblich versucht, mir die Handarbeiten nahe zu bringen, doch ich schien kein großes Geschick dafür zu haben. Ich fand Handarbeiten entsetzlich langweilig und hätte ein gutes Buch vorgezogen. Unsere Bibliothek war gut bestückt und es gab noch so viele Bücher, die ich noch nie gelesen hatte. Mein Vater hatte mich stets zum Lesen ermuntert und mit mir oft über verschiedene Bücher und auch über Wissenschaften und Politik diskutiert.
Onkel James saß im Lieblingssessel meines Vaters und las in der Bibel, wie jeden Abend. Ich hatte schon festgestellt, dass mein Onkel beinahe schon fanatisch religiös war, wenngleich er die Bibel für sich selbst großzügig auslegte. Die Stellen, wo es um Hurerei und Trunkenheit ging, schien er regelmäßig zu überlesen. Dabei war er stets schnell dabei, einen Vers für mich zu finden, der die erwünschten Tugenden einer Frau beschrieb. Ich hatte von Mutter oft genug zu hören bekommen, dass ich viel zu undamenhaft war. Frauen hatten eben nicht selbstständig zu denken und erst recht stand es ihnen nicht zu, einen Mann zu kritisieren. So jedenfalls schien mein Onkel die Sache zu sehen.
Neben ihm, auf einem kleinen Tischchen, standen wie üblich eine Karaffe mit Brandy und ein Glas. Ich hatte bemerkt, dass mein Onkel gern und viel trank, besonders Vaters teuersten Brandy. Wenn er sehr viel trank, schlief er immer im Sessel ein. Deshalb hatte ich Molly angewiesen, ihm abends Brandy hinzustellen. Heute Abend jedoch hatte er zu meinem Leidwesen noch nicht einmal das erste Glas ausgetrunken. Meine Gedanken richteten sich auf ein Leben ohne meinen schrecklichen Vormund. Ich malte mir aus, einen gut aussehenden und charmanten Mann zu heiraten und einen Haufen niedlicher Kinder zu bekommen, die das ganze Haus bevölkerten. Ich würde mit meinem
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