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Die Verbannung

Die Verbannung

Titel: Die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cesare Pavese
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Gefängnis hatte Stefano nicht geschlafen; dann hatte er die letzten Augenblicke, als er seinen Koffer schon geschlossen und seine Papiere unterschrieben hatte, in einem ihm unbekannten Durchgangszimmer gewartet. Von den hohen, feuchten Wänden bröckelte der Putz, große Fenster taten sich in den unverhangenen Himmel auf, dessen Schweigen der Sommer milderte und wo heiße Sterne flimmerten, die Stefano für Glühwürmchen gehalten hatte. Seit Monaten hatte er nur die glühendheißen Wände hinter den Gitterstäben gesehen. Auf einmal begriff er, daß dies der nächtliche Himmel war und daß sein Auge bis dort hinaufreichte, daß er bei Tagesanbruch in einem Zug sitzen, über sommerliches Land fahren, frei umherschweifen würde bis zu unsichtbaren, menschlichen Wänden, für immer. Das war die Grenze, und das ganze schweigende Gefängnis versank im Nichts, in der Nacht.
    Jetzt hatte Stefano in dem bescheidenen Frieden des Höfchens den Tag begonnen, indem er rauchte wie Giannino und dem eintönigen Rauschen des Meeres lauschte. Er hatte zugesehen, wie der Himmel erblich und die Wolken sich verfärbten und hatte dabei seinen Kopf wie ein Junge zurückgelegt. Aber tief in seinem Herzen schmerzte jene andere Erinnerung, jenes schwärmerische Sehnen nach einer Einsamkeit, die ihrem Ende zuging. Was hatte er aus diesem Tod und aus dieser Wiedergeburt gemacht? Lebte er jetzt etwa anders als Giannino? Stefano preßte seine Lippen zusammen, und sein Ohr lauschte dem immer gleichen Rauschen des Meeres im Morgengrauen. Er konnte den Wasserkrug nehmen, die Straße hinaufgehen und ihn an dem kalten, krächzenden Brunnen füllen. Er konnte wieder nach Hause gehen und sich wieder zu Bett legen. Die Wolken, die Dächer, die geschlossenen Fenster, alles war in diesem Augenblick süß und kostbar, alles war, wie wenn man ein Gefängnis verläßt. Aber dann? Lieber bleiben und davon träumen, daß man das Gefängnis verläßt, als es wirklich verlassen. Elena stand still vor dem Fenster, schaute und hielt dabei Vincenzino an der Hand. Stefano machte ihr ein Zeichen, sie möge hereinkommen, und starrte dann anzüglich in die kahle Ecke, wo der Schrank gestanden hatte. Elena zuckte die Achseln und nahm dann, ohne zu sprechen, den Besen.
    Solange der Junge dablieb, schaute Stefano ihnen schweigend zu: ihr, die kehrte, ihm, der die Kehrichtschaufel hielt. Elena machte keinen verlegenen Eindruck: mit gesenkten Augen spähte sie in dem Raum umher, ohne seinen Augen auszuweichen. Sie war nicht rot, sondern aschfahl.
    Sie schickte den Jungen hinaus, den Kehricht auszuleeren, und Stefano regte sich nicht. Die kurze Abwesenheit des Jungen verging unter gespanntem Schweigen. Gerade wollte Stefano etwas sagen, als Vincenzino wieder hereinkam. Er half ihr, das Bett machen, und ging schließlich mit dem Wasserkrug hinaus. Stefano merkte, daß er seinerseits auf ein Wort von Elena wartete und daß Elena, die ihm den Rücken kehrte, sich damit aufielt, eine überzählige Decke zusammenzulegen. Es gab nichts zu sagen. Zu dieser Tageszeit hätte Stefano fern sein sollen.
    Der Augenblick ging vorüber. Wollte sie – so gebeugt, von hinten, die Stirn unter den Haaren verborgen – ihn provozieren? Es kam ihm vor, als stütze sie ihre Arme fest auf die Decke und sei jederzeit bereit, ihren Kopf auf einen Stoß gefaßt, vorzubeugen.
    Stefano holte tief Atem und hielt an sich. Vincenzino konnte jeden Augenblick zurückkommen. Ohne von der Tür, an die er sich lehnte, fortzugehen, sagte Stefano:
    »Ich würde ein Bett nicht machen, in dem ich nicht schliefe.«
    Dann sagte er noch hastig, denn er glaubte den Jungen zu hören: »Die Liebe am Morgen wäre eine gute Sache, aber man darf das nicht, denn dann kommt der Abend und der nächste Tag und der übernächste Tag …«
    Elena hatte sich herausfordernd umgedreht und stützte ihre Fäuste hinter sich auf das Bett. Sie sagte leise: »Leute wie Sie braucht man nicht. Quälen Sie mich nicht.« Ihre Kehle bebte, und die Falten um ihre Augen waren rot. Stefano lächelte.
    »Wir sind auf der Welt, um uns zu quälen«, sagte er. Der Junge, der den Wasserkrug mit beiden Händen hielt, stieß gegen die Tür. Stefano beugte sich zu ihm herab, nahm ihn ihm aus der Hand und stellte ihn unter das Fenster. Dann suchte er in seinen Taschen nach einem Zwanziger.
    »Nein«, sagte Elena, »nein, nein. Das darf er nicht annehmen. Machen Sie doch keine Umstände.« Stefano steckte ihm den Zwanziger in die Hand, faßte ihn

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