Die Verbannung
fragen, ob er Giannino sehen könne, und hofe doch, daß ihm das nicht bewilligt würde. Dabei wußte er, daß er Giannino wie sein zweites Ich behandelte: Giannino war noch nicht so lange eingesperrt, daß er des Trostes bedurf hätte, und Stefanos Stolz auf seine Einsamkeit, verlangte nicht nach Linderung. Dennoch ging er hin, weil Pierino hingegangen war.
Er blieb nicht vor den blinden Fenstern stehen, weil
er nicht wußte, welches das von Giannino war. Der
Wachtmeister kam und öffnete ihm.
Diesmal lächelte er apathisch.
»Ich habe ihn vor einer halben Stunde ins Auto ge-
setzt«, sagte er gutmütig, »das war kein Gefängnis
für ihn.«
»Schon verlegt?«
»Genau das.«
Stefano senkte die Augen. Dann sagte er: »Schlimm?« Der Wachtmeister kniff die Augen zusammen: »Für Sie war er die richtige Gesellschaf. Aber, na ja! Sie tun jetzt gut daran, nicht aufzufallen.«
Stefano wollte fortgehen, und der Wachtmeister schaute ihn an. Da sagte er: »Es tut mir leid.«
»So was tut immer leid,« sagte der Wachtmeister. »Der einzige anständige Mensch, und den lochen sie ein.«
Der Wachtmeister sagte plötzlich aus seinem Schweigen heraus: »Ich weiß nicht, mit wem Sie jetzt auf die Jagd gehen könnten.«
»Auf die Jagd pfeife ich.«
»Jedenfalls nicht auffallen«, sagte der Wachtmeister.
Auf der Straße war es nicht sehr kalt, aber der Abend und der Morgen in dem niedrigen Raum ließen einen erstarren und zwangen Stefano dazu, seinen Überzieher anzuziehen, den er seit dem Frühjahr über dem Arm getragen hatte. Manchmal herrschte ein aschfahles oder tröpfelndes Licht, das Windböen hinwegwegten. Aschgrau waren selbst die sonnigen Nachmittage. Stefano hatte ein Becken voller Asche im Zimmer stehen, in dem er Holzkohle verbrannte, bis Glut entstand und er daneben vor sich hindösend den Abend verbringen konnte. Die Holzkohle zum Glühen zu bringen und einzuäschern war sehr mühselig, weil man dazu im Kalten draußen stehen und die brennenden Zweige anfachen und sich lange über die Flamme beugen mußte, damit das Kohlengas trotz Wind und Regen abzog. Wenn er dann mit dem Becken wieder hineinging, war Stefano zerschlagen, steif, verschwitzt und bleich; und häufig blieben über der Glut bläuliche Schwaden hängen, die ihn nötigten, die Tür aufzureißen, damit die Gefahr abzog. Dann traf ein eisiger Hauch vom Meer seine Beine, die er, auf das Becken gestützt, braten ließ. Fortgehen, um sich zu erwärmen, konnte er nach Einbruch der Dunkelheit nicht. Aber auch Giannino, so dachte er, konnte nicht fortgehen und hatte nicht einmal ein Kohlenbecken.
Eines Morgens, als der Hof sich In einen Sumpf verwandelt hatte, hielt sich Stefano länger beim Verspeisen von Brot und Orange auf und warf die Schalen in die erloschene Asche wie abends in die Glut, um den Modergeruch der feuchten Mauern zu vertreiben. Die Sonne kam nicht heraus, und der Sumpf war gewaltig. Dafür erschien Elena mit einem Tuch um den Kopf und der Junge mit dem Krug. Seit der Nacht mit dem Schrank hatte er sie nicht mehr gesehen, aber, obwohl sie ihm den Schrank wirklich wieder fortgenommen und seine Sachen wieder in den Koffer zurückgetan hatte, war Elena doch von Zeit zu Zeit, wenn er fort war, gekommen, um sein Zimmer zu machen. Sie erschien wie immer mit brummigem Gesicht vor seinem Fenster und es kam Stefano unsinnig vor, daß er sie in seinem Bett gehabt haben sollte. Da stand sie, still und grau.
Stefano war erschöpf; wenige Schritte waren jetzt das äußerste, er ging nie weiter als bis zum Strand oder zur Wirtschaf. Nachts schlief er wenig; eine ständige Beklommenheit und Unruhe trieben ihn schon beim ersten Morgengrauen in die kalte Luf hinaus. An diesem Morgen war er, um etwas zu unternehmen, noch ehe es Morgen wurde, aufgestanden. Vermummt war er in den Hof hinausgegangen, wo er unter einem schweigend schwarzen Himmel sein kurzes Pfeifchen angezündet hatte, das dem Gianninos glich. Es herrschte strenge Kälte, aber in der Dunkelheit schien vom Meer ein Atem aufzusteigen, der dem Rhythmus der flimmernden riesigen Sterne folgte. Stefano hatte an den Morgen auf der Jagd gedacht, als noch nichts geschehen war, als Giannino rauchte und Concias Haus, fahl und verschlossen, wartete. Aber die eigentliche Erinnerung war eine andere, geheimere, der stumm glühende Mittelpunkt von Stefanos ganzem Leben. Seine Erschütterung beim Wiederaufauchen dieser Erinnerung war so groß, daß es ihm den Atem verschlug. Die letzte Nacht im
Weitere Kostenlose Bücher