Die Verbindung: Thriller (German Edition)

Gehwegen verliefen. Falls jemals ein Gebäude einen Persönlichkeits-Bypass hatte, dann das hier. Niemand war überrascht, als es später zum hässlichsten Gebäude Londons gewählt wurde.
    Nichts davon war von großem Interesse für Alice Carlyle, die genau wusste, wo sie war, und keine gelbe Linie brauchte, die ihr den Weg zeigte. Alice saugte gierig an ihrem Becher Apfelsaft, während sie neben ihrem Vater auf einem Gehweg zehn Meter über dem Erdboden stand. Sie reichte Carlyle den Becher und kaute fröhlich auf ihrer letzten Hoso-Maki-Rolle von ihrem Tablett mit Lachs-Nigiri, das sie sich in einem Sandwichladen geholt hatten. Dies war Teil des üblichen Frühstücksrituals auf dem Schulweg, das von beiden Eltern nach Alices präzisen Angaben für den betreffenden Tag vollzogen wurde. Im Haushalt der Carlyles gedieh die Kindergarchie: Alice stand im Mittelpunkt, und Mum und Dad machten sich beide Sorgen, sie könnten auf den Status von Schuldknechten reduziert werden. Wie viele Eltern wussten, war es nicht leicht, sich von der Diktatur des Kindes loszureißen, aber sie wussten wenigstens, dass diese Phase bald vorüber war.
    Carlyle trank seinen dünnen Macchiato aus, der ärgerlicherweise kaum lauwarm war, obwohl er wie immer darum gebeten hatte, ihn extraheiß zu machen. Genervt durch die Versäumnisse bulgarischer Baristas im Besonderen und der Dienstleistungswirtschaft im Allgemeinen lehnte er sich über die Brüstung und schaute auf die Mädchenschule der City of London hinunter. Sie lag ungefähr zweihundertfünfzig Meter entfernt auf der anderen Seite eines Zierteichs von der halben Größe eines Fußballfelds. »City«, wie sie genannt wurde, ähnelte einer ziemlich kleinen Gesamtschule aus den Siebzigerjahren, nicht sehr verschieden von der, auf die er selbst gegangen war, sechs Meilen, dreißig Jahre und mehrere Generationen entfernt. Carlyle hatte keine Ahnung, warum man sie mitten in dieses ziemlich trostlose Stück Stadtplanung hatte plumpsen lassen. Aber er war darüber nicht unglücklich, während er zusah, wie die anderen Kinder fröhlich in sie hineingingen.
    Wenn seine Arbeitsschichten und die Verbrecher mitspielten, schaffte Carlyle es vielleicht drei- oder viermal im Monat, seine Tochter zur Schule zu bringen. Er wusste, dass er es auskosten sollte. Es war »Freizeit«, in der sie einfach zusammen sein konnten, und er genoss die Fahrt zur Schule mehr als alles andere, woran er denken konnte. Soweit er das beurteilen konnte, verschwendete Alice keinen Gedanken daran, aber das war mehr als gut genug für ihn. Für Kinder gab es nur die Zeit; entweder schenkte man sie ihnen oder nicht. Man hatte ein kurzes Zeitfenster, und dann waren sie weg, und man war wieder auf sich gestellt. Man konnte nicht so tun als ob, indem man versuchte, sein Leben in schöne und nicht so schöne Stunden aufzuteilen. Das war nur Mittelklasse-Schwachsinn. Man tat es – oder man ließ es bleiben.
    Der Umstand, dass er die vergangene Nacht mit einer Leiche verbracht hatte, machte den Morgen – mit Alice, die vor sich hin kaute, der Sonne, die vom Himmel herabschien, und der Geschäftigkeit der Stadt – sogar noch erfreulicher als sonst. Er wandte sich von der Brüstung ab und ließ den Blick über ein Plakat gleiten, das dieunmittelbar bevorstehende Eröffnung einer Ausstellung mit Arbeiten von Litauens führenden Avantgarde-Modedesignern ankündigte. Carlyle hatte noch nie von Helmut & Karl gehört. In seinen Augen sahen sie wie eine leicht hippere Version von Gilbert & George aus, die bejahrten englischen Künstler, die für ihr höchst amüsantes Œ uvre mit Titeln wie Shit Faith, In the Shit und Bloody Life berühmt waren. Als er den Blick auf dem Plakat nach unten gleiten ließ, sah Carlyle, dass Helmut & Karl ein Angebot machten, das einen irgendwie oberflächlicheren Eindruck hinterließ.
    Helmut & Karl sind weithin als die führenden Genies der postmodernen Modeindustrie anerkannt. »Das Haus von Helmut & Karl« wird eine Auswahl der klassischen Stücke aus der Kollektion der Designer von 1984 bis zur Gegenwart zeigen, wiedergeboren in einer vor Kurzem in Auftrag gegebenen Installation, die die gesamte Esterhaus Galerie im dritten Stock des Centre dominiert. Unter den Glanzstücken wird sich des Paars weltberühmte Kollektion »Chinesische Puppen« von 1992 befinden. Für diese Ausstellung wird das neue Supermodel Madison Smith in eine Reihe von zwölf juwelenbesetzten Kleidern schlüpfen, bis sie