Die verborgene Grotte
hinausfinden.«
»Deswegen zünde ich doch die Kerzen an«, sagte Sara und wedelte ein Spinnennetz weg. »Dann müssen wir auf dem Rückweg einfach nur den Lichtern folgen. Wir wollen schließlich herausfinden, was das hier unten ist.«
Karl öffnete den Mund, um sie daran zu erinnern, dass Kerzen auch ausgehen können, aber schon der Gedanke erschien ihm so unheilvoll, dass er doch lieber schwieg. Er dachte an die Katakomben von Rom, Bilder, die sie in der Schule gesehen hatten, an die Gänge unter der Stadt, wo die ersten Christen seit dem zweiten Jahrhundert ihre Toten begraben hatten. Schaudernd folgte er Sara in den Gang.
»Achtung, Stufen nach unten«, sagte Sara nach ein paar Schritten. »Sei vorsichtig.«
Sie erreichten einen Absatz, an dessen Ende der Gang wiederum in einer Treppe mündete, die nach oben führte.
»Seltsam«, sagte Sara. »Warum baut man erst eine Treppe nach unten und dann wieder nach oben?«
Sie blieben stehen und Sara zündete die nächste Kerze an. Die Flamme spiegelte sich in einer Wasserpfütze auf dem Boden.
»Pass auf!«, rief Sara.
Karl hielt mitten in der Bewegung inne.
»Was ist denn?«
Aber als er genauer hinsah, bemerkte er es selbst: Das hier war keine kleine Pfütze, sondern ein mit Wasser gefülltes, rundes Loch. Ein tiefes Loch. Eine Falle? Vorsichtig machte er einen Schritt rückwärts. Sein Herz raste.
Sara wagte sich nach vorne und hielt die Fackel über das Loch. Es war unmöglich zu erkennen, wie tief das Wasser war. Mit dem Fuß schubste sie einen kleinen Stein über den Rand, und als das Wasser ihn verschluckte, verwandelte sich die Oberfläche in einen kräftigen Strudel, der das Wasser geradewegs in den Berg zu saugen schien. Das hier
war
eine Falle.
»Ich schätze, es ist verdammt tief«, sagte Karl. »Was für ein Glück, dass keiner von uns reingefallen ist.«
Sara dachte nach.
»Ja, aber auf der anderen Seite geht die Treppe weiter. Das kann nur bedeuten, dass da drüben irgendetwas Wichtiges ist, und dieses Loch hier soll verhindern, dass wir es finden. Komm weiter.«
Noch ehe sie den Satz zu Ende gesprochen hatte, hatte sie schon einen großen Schritt über den Strudel gemacht und die Treppe erreicht.
Karl blickte weiter ins Wasser. Für einen Augenblick glaubte er dort unten in der Tiefe etwas Buntes zu erkennen – aber im nächsten Augenblick war es verschwunden. Er blinzelte. Wie sehr er auch starrte, es war nicht mehr zu sehen.
Vorsichtig folgte er Sara. Am Ende der Treppe bog der Gang ab und sie verschwand außer Sichtweite.
»Oh, Karl, das ist … das ist ganz unglaublich! Komm! Das musst du dir ansehen!«
Sara schritt durch einen Raum, der am ehesten einer Kathedrale glich. Die Decke war gewölbt wie die Innenseite einer Kuppel und in dem flackernden Schein ihrer Fackel funkelten unzählige kleine Kristalle. Eilig zündete sie auch hier die Fackeln an, die im Abstand von wenigen Metern entlang der Wände befestigt worden waren. Dazwischen waren geheimnisvolle Symbole direkt auf den Fels gemalt.
Ein steinernes Becken wölbte sich aus dem Fels. Es ähnelte einem riesigen Taufbecken. Oder vielleicht einem Vogelbad. Ob es natürlichen Ursprungs oder in den Fels geschlagen worden war, konnte Karl nicht erkennen. Auf jeden Fall aber war es mit Wasser gefüllt, das die ganze Zeit in Bewegung war und leise über den Rand schwappte. Nachdem der Boden darunter nichtnass war, musste es irgendwo an der Wand entlang in den Fels rinnen.
»Ich glaube, das hier ist eine Quelle«, sagte Sara. »Schau mal in die Mitte. Da blubbert das Wasser hoch. Wie eine Fontäne.«
»Ziemlich mickrige Fontäne«, sagte Karl. »Die schafft es ja nicht mal bis an die Oberfläche.«
Aber noch während er das sagte, fielen ihm die Bücher in Pilkins’ Bibliothek wieder ein. Die Bücher, in denen zu lesen stand, wie man dem Tod und dem Alter ein Schnippchen schlagen konnte. Was hatte Miriam noch gleich gesagt? Dass Pilkins sein Leben lang nach der ewigen Jugend geforscht hatte?
»Vielleicht ist
das
hier die Quelle der Jugend!«, platzte er heraus. »Vielleicht geht es gar nicht um den Kelch!«
Bei dem Gedanken hellte sich Saras Miene auf.
»Bekommen wir das ewige Leben oder werden jünger oder so, wenn wir das Wasser hier trinken?«
Karl dachte darüber nach. Nicht, dass er daran glaubte, nicht ernsthaft zumindest … jedenfalls nicht mehr, als man an einen Wunschbrunnen glaubt, aber der Gedanke war trotzdem aufregend.
»Traust du dich?«, fragte
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