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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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hätte er die Stelle gestreichelt, aber er schämte sich vor diesen Fremden. Er sah sein Mütterchen vor sich, tapfer, klein, mit den lieben, sorgenblassen Augen. Und die gefällige gelbblonde Dame da vor ihm mit ihrem verheirateten Galanmachte ihm auf einmal gar keinen Spaß mehr. Er kaufte sich nur noch einiges Schreibmaterial und Postkarten und Marken, verbeugte sich tief und trat ins Freie.
    Zerstreut betrachtete er das Papier, in das man seine Postkarten gewickelt hatte. Es schien aus einem Schulheft ausgerissen und war mit einer gespreizten französischen Schrift unordentlich beschrieben, ein Konzept, erst Zahlen, ein paar Ortsnamen, dazwischen zweimal der Namenszug »Napoléon Cerf«, immer mit verschiedenem Schnörkel probiert. Das also war der jeune homme digne et dévot , der die Stadt Thurwiller im Parlament vertreten sollte! »Ein Fünftel der französischen Bevölkerung widersteht dem Kaiserreich,« las er. »Dieses Fünftel atmet immer noch den Geist der Revolution. Es setzt sich zusammen aus den Voltairianern, Leuten, die freiheitliche Ideen pflegen, und den französischen Prussiens, den Protestanten. Das letztere Element hat sein foyer im Elsaß. Überlassen wir es unserer glorreichen Armee, unsere heiligsten Güter nach außen hin zu verteidigen, wenn die Notwendigkeit sie dazu zwingt, und tragen wir inzwischen Sorge, daß auch im Lande selbst unsere katholische Religion eine geeignete Repräsentation finde.«
    Heinrich mußte lachen über die großen Worte. Es amüsierte ihn, wie hier einmal wieder Himmel und Erde in Bewegung gesetzt wurde zum Konzept für eine Wahlrede. Dieser Monsieur Cerf jedenfalls schien zu wissen, auf welcher Seite es zu fischen galt!
    Drüben, über den Platz hinüber, wartete schon der Apotheker auf ihn, unternehmend mit schiefgesetztem, hellem Strohhütchen, weißer Weste und Spazierstöckchen. Er schien begierig, dem Städtchen seinen Gast zu zeigen. Lebemännisch nahm er Heinrichs Arm und bog mit ihm zur Hauptstraße ein, ihm bei jedem Haus den Namen des Besitzers nennend. Neben der hoch ummauerten Maison Centrale stand der alte Gasthof »Zur Krone« mit seinem Renaissance-Erker, gleichaltrig mit dem Rathaus drüben. Hummel blieb stehen, die Ornamente zu betrachten. Bourdon, der meinte, seine Aufmerksamkeit gelte der schönen Madame Keller, der Besitzerin des Hauses, die mit ihrem Filetkissenim Fenster saß, grüßte ausführlich herauf, zweifach stolz auf seine Freunde: »Mes hommages, madame!«
    Die Frau, eine Dreißigerin mit langen, dunkeln Seitenlocken, beugte sich vor. Hummel hatte den Eindruck, sie sehe ihnen nach. Und so ging's weiter. Onkel Camille guckte überall in die niederen Fenster der Erdgeschosse hinein, bei den geschlossenen sogar durch die Herzlöcher der Fensterladen: »Geht's guet? comment ça va? « Er unterhielt sich mit einer kleinen Verwachsenen, die auf niederem Strohsesselchen vor ihrer Tür saß und nähte, und wußte nachher eine saftige Geschichte von ihr zu berichten. Er grüßte freundlich ins Fenster der Frau des jüdischen Avoué Bluhm: »Madame, je vous salue!« und fand, sie habe einen bösen Husten, für den er ein vorzügliches Mittel wisse.
    Aus den Häusern heraus roch es nach Kohl und Zwiebeln. Ein paar struppige Pinscher bellten dem Fremden entrüstet nach. Hummel stolperte über Katzen und glitt in Mistpfützen hinein. In der stillen, menschenleeren Breitgasse standen am alten Ziehbrunnen ein paar schmutzige Mädchen und schwatzten. Eine wilde Dunkle und eine Blauäugige.
    »Das sind die Kinder vom Säufer Groff,« sagte Bourdon. »Er hat sie von allen Farben, und er ist stolz darauf.«
    Er machte jetzt den Neffen aufmerksam auf die neuen Rinnsteine und das Straßenpflaster. Auf den Sou wußte er, was das gekostet hatte. » Oh oui , der Herr Maire! Der versteht den Leuten das Geld aus der Tasche zu locken. Und député hat er auch werden wollen, 's letztemal. Grad nur an einer Stimme hat's gehängt – –,« er lächelte selbstgefällig – »der Stimme vom Pharmacien im Bourdon d'Or. Und die Ziehbrunnen will er abschaffen, weil alle paar Jahre mal ein Kind darin ertrinkt. Quel grand malheur! Aber die Gemeinde kann sich an die Pumpen nicht gewöhnen.«
    Auf einmal verwandelte sich das Gesicht des guten Camille in lauter Süßigkeit. Durch ein schmales Gaßchen hindurch, das nach der Hauptstraße zurückführte, sah er das blanke Kabriolett der Madame de la Quine fahren. Die Dame saß hinter den facettierten Scheiben zwischen den

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