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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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d'r Madam Tränkele durch, selle Stroß, hein? Ah, le sacré gaillard !«
    Pfiffer-Schang lächelt nur. Dann aber richtet er sich auf: »Eh bien, messieurs?« Er schlägt mit der Faust auf den Tisch: »Zum letschte Mol frag i jetz': Was gilt's mit d'r grève ? Was gilt's mit'm Krieg?«
    Er wartet einen Augenblick. Niemand antwortet. Seine Stimme wird krähend: »Viehchor sin ihr alle mitnander! Könnt ihr's denn net begreife: d' grève un d'r Krieg, das isch's Glieche. Sie g'schehen alle zwei für unser heiliger katholischer Glauwe, für daß er iwerall groß un stark würd, in magnam gloriam. Voilà. Un d' Prussiens, sell dürfen ihr glauwe, das sin noch viel ärgere protestants , als die, wo'n'im Ländle sin!«
    Der Wagner haut wütend auf die Bank.
    »Trumpf – Trumpf – un noch emol Trumpf!« schlägt der Justin seine Karten auf den Tisch. Er will nichts zu schaffen haben mit der Sache. Und auch der Tjark Smeding beruhigtsich wieder. Was geht ihn eigentlich der ganze Lärm an? Seit ihm auf dem Übungsschießplatz sein Finger abgeschossen wurde, ist er giftig auf Soldatenstand und Militär. Hier im Elsaß, wo man mit dergleichen nichts zu tun hat, fühlt er sich wohl und daheim. Nur wenn er das Wort Deutschland hört, wird ihm manchmal wunderlich zumute, als müsse er dafür einstehen hier unter den Welschen. Aber es geht vorbei.
    In der Stube wird es luftloser und lauter. »Vive la France! Vive l'empereur!« Und es wird doppelt so lustig getrunken. Auf einmal steht der Smeding auf, ganz langsam, ganz bedächtig, und ehe ein Mensch es sich versieht, streckt er mit einem einzigen mächtigen Schlage Pfiffer-Schang, der sich gerade sachte davonschleichen will, zu Boden. »So, do hast's für dei Spioniere.« Diesmal regte sich keine Hand gegen ihn. Nur der Schang am Boden flucht und zappelt und wischt sich das Blut vom Gesicht. Die anderen lachen. Da macht sich der Tjark Smeding denn auf, geht über die Brücke hinüber zur Apotheke und läutet die Nachtglocke. »Petit-Singe«, der bei Bourdon Hausfaktotum ist, nachts da schläft und auch in dem Verkaufsraum Bescheid weiß, bringt ihm das Pulver und kommt mit. Sie schleppen den Schang in den Garten, und »Petit-Singe« verbindet ihm die Nase. Schimpfend zieht der Mißhandelte endlich davon.
    Drinnen aber diskurieren Arbeiter und Soldaten noch lange miteinander über die spanische Affäre und die Maidele.
     
    Es war schon weit in den Vormittag hinein, als Heinrich Hummel sich aus der schattigen Behaglichkeit des Apothekergärtchens losriß, um auf den sonnigen Platz hinauszugehen. Er wollte seinem Koffer nachforschen, der nicht angekommen zu sein schien, und wollte nach Briefen fragen. Jetzt, beim hellen Tag erschien ihm das alte Stadthaus noch viel schöner. Er stand lange davor und freute sich an seiner festen, maßvollen Schönheit. Oben am Fenster saß wieder der silberne Alte und schrieb. Unwillkürlich grüßte Heinrich hinauf. Er trat in die Arkade der Vorhalle. Kinder schaukelten sich auf den von Pfeilerzu Pfeiler gezogenen Sperrketten. Drüben in der Hauptstraße fuhr auf der schmalen Schattenseite des Bürgersteiges ein zweirädriger Karren, von einem zerlumpten Kerl und einem Hunde gezogen, die Begegnenden wegdrängend. Es gab Geschimpf und Lachen. Die Madames in Kattunjacken und weißen Leinenhauben, die wie Helme aussahen, lagen breit in den Fenstern, die Arme auf Kissen gestützt, und lachten. Sie sahen herab zu ihm. Bemerkungen, die er nicht verstand, flogen nachbarlich zueinander. Aus der Kaserne kam ein Trupp Soldaten heraus, die roten Hosenbeine lustig hebend, schmutzige Kinder tanzten um sie herum. Einer oder der andere der Soldaten streckte ihnen die Hand hin, gab ihnen ein vergnügtes Wort. Kritisch sah der junge Deutsche auf die fleckigen, schlechtsitzenden Uniformen und die lässige Haltung der jungen Menschen. Er war gern Soldat gewesen und achtete den Drill. Auch fiel es ihm auf, wie klein die Leute waren, und daß sie elend aussahen. Vor dem schmalen Hause, das Telegraphendrahte über dem Mützendach als Post auswiesen, blieb er stehen. Er trat ein und fand sich in einer Art Schalterraum, dessen Schranke aber nur etwa einen Meter lang ins Zimmer hineinging und wie eine Kulisse wirkte. Man blickte ungehindert in Mademoiselle Célestines blaugeblumtes Boudoir mit Toilettentisch, Nähkorb und Himmelbett, in dem zwischen ihren eigenen Kartons und Kleiderkasten die angekommenen Pakete lagerten. Mademoiselle selber war eben damit beschäftigt,

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