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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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hohen Rädern wie in einemfahrenden Schmuckkästchen, ein schwarzes, ovales Tellerhütchen auf dem goldbraunen Chignon, über der Stirn waren die Haare kurz verschnitten und leicht gelockt, die helle Seidenmasse ihres Kleides wogte ihr bis zu den Schultern hinauf. Neben ihr zeigte sich das ernsthafte Kinderprofil ihrer kleinen Berthe mit kurzem Näschen zwischen den runden Bäckchen.
    Bourdon stürzte vor, Hummel mit sich ziehend, und begrüßte die Dame, die halten ließ, mit tiefer Reverenz. Sie öffnete das Fenster. Wie es ihr gehe? fragte er. Ob sie unter der Hitze sehr leide? Und ob Monsieur viel Ärger habe in der Anstalt? Dann stellte er ihr Hummel vor: »Ein junger Verwandter aus Deutschland.«
    Die elegante Frau lächelte liebenswürdig. Sie reichte Heinrich die feine, im weichen Handschuh heiße Hand. In ihre großen, dunkelblauen Augen kam ein feuchtes, gleichsam schwimmendes Glänzen. In gewandtem Französisch erzählte sie, sie habe ihr Töchterchen von den »bonnes sœurs« in Isenheim hergeholt, Berthe dürfe über Nacht bei p'tite mère bleiben. »Sie liebt mich unendlich, diese Kleine! N'est-ce pas, mon amour, mon trésor, mon bijou? « und sie küßte das kleine Ding vor dem jungen Manne, wie eine Frau ihren Liebhaber küßt. Wirklich stieg Hummel das Blut ins Gesicht, ein verliebtes Brausen ging ihm durch den Kopf, daß er einen Augenblick wie taub war. Um die gefährliche Frau nicht anzusehen, faßte er das Händchen des Kindes. Berthe sah ihn ernsthaft an.
    Blanche de la Quine wandte sich jetzt an Bourdon. »Was gibt es Neues?« fragte sie. »Und ist es etwas Ernstes mit dem Streik? Man spricht von einem neuen Bäckefest wie damals. Ich glaube –«, das ging wieder zu Heinrich – »im Jahre Siebzehnhundertsiebenundvierzig, sie plünderten die Bäckerläden. Vielleicht kommt diese amüsante Abwechslung auch zu uns. Drüben der Bäcker-Nazi wenigstens macht schon jetzt seine brioches um die Hälfte kleiner. Er will sich im voraus entschädigen, scheint mir.«
    Sie lachte sehr melodisch und strich sich die gebrannten Stirnlocken über den Augen zurecht. Ihre hohen Brauen hoben sichmokant und hochmütig. Heinrich folgte jeder ihrer Bewegungen. Er fand alles reizend, was sie tat.
    Jetzt mischte sich auch der livrierte Bauernbursche ein, der auf dem Bock saß und kutschierte.
    »Dem Lumpevolk in Mülhuse g'hört d'r Buckel voll,« sagte er und ahmte dabei auf eine burleske Weise das Brauenziehen seiner Herrin nach. » Quelle crapule! verdammte Chaibe sin's!«
    Er schnalzte mit der Zunge, daß der Rappe zu tanzen begann. Man verabschiedete sich.
    »Auf Wiedersehen!« rief die schöne Blanche noch unter dem Lärm des Wagens auf dem holprigen Pflaster.
    Beide Männer sahen ihr nach.
    Bourdon grunzte: »Sapristi, eine schöne Frau!«
    »Und vornehm!« sagte Hummel andächtig.
    Bourdon lachte: »Sie war Aufwaschmädchen im ›Roten Ochsen‹ in Mülhuse. Als Monsieur de la Quine sie heiratete, zog sie zum erstenmal Handschuhe an.«
    Hummel schwieg eine Weile. Er war ganz verwirrt. »Und schadet diese Heirat dem Direktor nicht in seiner Stellung?« fragte er endlich.
    »Ah, bah! Sie ist ja reizend. Et avec ça – hier ist's net wie drüwe überm Rhin. Bi uns hat's net so Unterschiede in der société wie bei Ihne, mon neveu . Un das, wo m'r drüwe éducation heißt un grande rennommée het, darauf haltet m'r do bi uns net so große Stück. Tout au contraire. G'sunde Vernunft muß einer habe, raison un savoir vivre, voilá . Was m'r so us de Bücher nimmt, das isch halt für d' Gelehrte wie der Herr Stadtschriewer do drüwe.« Er wies nach dem Rathaus. »D' Meischte – ob hoch oder niedrig gebore – sin zufriede in ihrem Kalender z' lese un in der ›Ame catholique‹. Regardez voir unsere Fabrikmaidele, wie die mit ihre Röckele schwänzle un ihre Haar schön koiffiere! Un parliere könne sie – a comtesse verstehts net e so! Un wenn einer erscht Geld verdient het, wie unsere große Fabrikherre in Mülhuse par exemple , do kann 'r im Mischtloch uf die Welt komme sin un er wird doch eschtimert als war er a grand seigneur .«
    Sie waren jetzt zu dem Elend-Teil des Städtchens gelangt, dem »Süßen Winkel«. Thurwillers älteste Häuser standen hier, zerfallend, gestützt, mit zerbrochenen Fenstern. Unsäglich schmutzige Kinder, die Finger in Mündern und Nasen, die Hemdzipfel in der Luft, trieben sich da herum, in familienhaftem Durcheinander zwischen Schweinen, Gänsen und Hunden. Auf dem lehmigen

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