Die verborgene Stadt - Die Prophezeiung
Fernsehen sind wieder mal von der schnellen Truppe.«
»Verflucht«, schimpfte Kornilow und nahm die Sonnenbrille ab. »Wie sehe ich aus?«
»Wie ein Held.«
»Na, dann geht’s ja.«
Der Major verstaute die Sonnenbrille in der Innentasche seines Sakkos und wartete geduldig auf die Reporter. Am Beginn seiner Karriere hatte er es stets abgelehnt, Interviews zu geben, da er Fernsehauftritte für albern und überflüssig hielt. Doch als er zum Leiter der Sonderermittlungsgruppe aufstieg, musste er diese Ansicht überdenken. In einer langen und ernsthaften Unterredung gab ihm General Schwedow zu verstehen, dass die Polizei gegenüber dem Steuerzahler Rede und Antwort zu stehen habe. So dauerte es nicht lange, bis Kornilow, der einen aufsehenerregenden Fall nach dem anderen löste, zum Lieblingshelden der Fernsehreporter wurde.
»Sergej«, rief der Major dem sich entfernenden Schustow nach. »Warte auf mich, wir fahren zusammen ins Präsidium.«
»Okay.«
Die Kameras richteten sich auf den Leiter der Sonderermittlungsgruppe.
»Herr Kornilow, handelt es sich um ein neues Opfer des Vivisektors?«
»Das ist nicht ausgeschlossen. Genaueres kann ich nach der Obduktion sagen.«
»Aber die Leiche war doch in ein weißes Laken gehüllt? «
»Das beweist überhaupt nichts.«
»Was gedenken Sie zu unternehmen?«
»Ich gedenke den zu erwischen, der das getan hat.«
»Herr Major, wir wissen, dass Sie ein Spezialist für Bandenkriminalität sind. Warum hat man Sie mit dem Fall dieses Einzeltäters betraut?«
»Ich bin Spezialist für jedwedes Gesindel, egal ob es sich dabei um organisierte Kriminelle oder einen einzelnen Verrückten handelt«, diktierte Kornilow selbstbewusst in die Mikrofone. »Die Sonderermittlungsgruppe befasst sich mit den wichtigsten Fällen.«
»Es heißt, der Nächste auf Ihrer Liste sei Chamberlain, stimmt das?«
Ganz Moskau hoffte darauf, dass der Major diesen Verbrecher fassen würde.
»Ich arbeite daran.«
»Wird Sie die Aufklärung des Vivisektor-Falles nicht davon ablenken, Chamberlain hinter Gitter zu bringen?«
»Glauben Sie mir, Chamberlain wird im Gefängnis landen, wenn er nicht vorher stirbt.«
»Gerüchten zufolge spielt Chamberlain mit dem Gedanken, Sie zu beseitigen.«
»Das soll er ruhig mal versuchen«, konterte der Major. »Ein Polizistenmord wäre keine gute Idee von ihm.«
»Ist das eine Gegendrohung?«
»Eine Drohung? Ich ermittle hier im Fall des Vivisektors, und wenn Sie keine weiteren Fragen haben, dann muss ich jetzt gehen.«
Kornilow ignorierte die Proteste der Reporter, schwang sich behände in Schustows Lada, der bereits mit laufendem Motor auf ihn wartete, und verließ den Tatort.
КАРІТЕL ZWEI
Vortragssaal des Polytechnischen Museums
Moskau, Staraja Ploschtschad
Mittwoch, 21. Juli, 20:12 Uhr
»Könntest du wenigstens das Schnarchen einstellen?!«, zischte Lusja und stieß Artjom den Ellbogen in die Rippen.
Der Ellbogenstoß geriet ziemlich vehement, und so wachte Artjom nicht nur auf, sondern wäre beinahe vom Stuhl gerutscht. Als er sich gefangen hatte, sah er Lusja vorwurfsvoll an (was das Mädchen nicht bemerkte), rückte seine Krawatte zurecht und sah sich um.
Ihm war langweilig. Seine Anwesenheit auf dem Vortrag verdankte Artjom ausschließlich Lusja, seiner neuen Freundin, die sich glühend für alles Unerforschte und Mysteriöse in der Welt interessierte. Mit Horoskopen aller Art – seien es abendländische, chinesische, japanische oder gar Blumenhoroskope – hatte sie bereits in der Kindheit sämtliche Aspekte des Lebens durchleuchtet. In der Folgezeit beschäftigte sie sich mit übersinnlicher Wahrnehmung, Volksheilern, Sehern, Wahrsagern und philippinischer Medizin. Dann kamen UFOs an die Reihe. Lusja bepflasterte ihre Wohnung mit Fotos, auf denen verschwommene,
insektenartige Objekte am Himmel zu sehen waren, verschlang stapelweise Bücher über die Sichtung fliegender Untertassen, studierte die Anatomie von Außerirdischen und recherchierte akribisch deren mutmaßliche Landungen auf der Erde. Schließlich bekniete sie ihre Eltern, ihr eine Reise in eine amerikanische Provinz zu finanzieren, wo ihre Gesinnungsgenossen Gerüchten zufolge schon seit fünfzig Jahren unter Laborbedingungen um Kontakte zu den Fremdplanetariern rangen. Als ihre Erzeuger sich querstellten, brach Lusja zum Schein in Tränen aus und suchte sich alsbald ein neues Hobby: alte Zivilisationen. Staatsbibliothek, Internet, Zeitschriften – in allen
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