Die verborgene Stadt - Die Prophezeiung
aus, doch jedes Mal ohne Erfolg. Nach einer halben Stunde vergeblichen Mühens musste er einsehen, dass er an den Humo nicht herankam. Sein Opfer verbarg sich hinter einem undurchdringlichen Schleier.
Nachdenklich ging der Zauberer um den Tisch herum und schlenderte an den Regalen mit den Essenzen entlang. Der Kohlenofen folgte ihm auf Schritt und Tritt, stets bereit, seinem frierenden Herrn Wärme zu spenden.
»Irgendjemand schirmt den Humo ab«, grübelte er. »Aber wer? Der Orden und der Grüne Hof kommen nicht infrage, ihnen fehlt bereits die Energie für einen solchen Schutzzauber. Die Tschuden haben ihr Amulett verloren, und die Priesterinnen sind vom Regenbrunnen abgeschnitten. Die Nawen? Die suchen den Humo doch selbst. Oder etwa nicht?«
Lubomir legte die Stirn in Falten. Psychologische Intuition war das Einzige, was ihm seine Gegenspieler voraushatten. Den Großteil seiner Jugend hatte er in der Einsamkeit verbracht und deshalb nie gelernt, mit Intrigen umzugehen.
»Offenbar ist es den Nawen gelungen, ihren Söldner schon vor dem Überfall der Rothauben mit einem Schutzzauber zu belegen, dann haben sie ihn verloren
und suchen ihn jetzt. Na gut. Wir werden sehen, wer schneller ist.«
Der Zauberer griff zum Telefon und tippte eine Nummer ein.
»Pulle, ich kann den Humo nicht finden. Irgendjemand hindert mich daran.«
»Und was machen wir jetzt?«, fragte der Desastro ratlos.
»Ihr müsst ihn auf konventionelle Weise suchen«, erläuterte Lubomir. »So, wie du ihn gesucht hättest, als du noch nicht auf meine Hilfe zurückgreifen konntest.«
»Im Moment bist du mir auch nicht gerade eine große Hilfe«, versetzte der Clanführer.
»Im Moment, ja«, pflichtete der Zauberer bei. »Aber den Krieg gegen den Dunklen Hof werde trotzdem ich führen und nicht du. Vergiss das nicht.«
»Ich denke daran«, brummte Pulle widerstrebend.
Der Ton, in dem der Zauberer mit ihm sprach, missfiel ihm, doch der Clanführer wusste, dass er keine Wahl hatte. Durch den Mord an dem Nawen hatte er alles auf eine Karte gesetzt: auf die Karte Lubomir. Nun war er auf Leben und Tod mit ihm verbunden.
»Dann ist es ja gut«, sagte der Zauberer zufrieden. »Ich brauche diesen Humo lebend, ist das klar?«
»Schon gut«, erwiderte Pulle, schaltete das Telefon aus und ließ seinen abgründigen Blick über die vor ihm versammelten Uibujen schweifen. »Wir müssen den Humo finden.« Der Desastro-Boss warf einen Stapel von Fotos auf den Tisch, die er von dem Original aus der Personalabteilung der Firma GW kopiert hatte. »Ich bin sicher,
dass er das Amulett hat. Macht in der ganzen Verborgenen Stadt bekannt, dass wir den Hundesohn suchen. Alles, was Beine hat, soll Jagd auf ihn machen, werbt meinetwegen auch Söldner an! Und keine Gewalt. Ich schneide jedem die Gurgel durch, der ihm auch nur ein Haar krümmt!«
Restaurant McDonald’s
Moskau, Krasnaja-Presnja-Straße
Dienstag, 27. Juli, 12:58 Uhr
Nichts wie zur Polizei!!!, dachte Artjom. Ich gebe den Rucksack dort ab, und dann sollen sie selbst sehen, wie sie mit diesen Tschuden, Luden, Schießereien, Rothauben und sonstigem Irrsinn fertigwerden. Ich seile mich ab, nehme mir Urlaub und verschwinde für eine Woche ans Meer. Bis ich zurückkomme, wird dieses ganze Banditen-Gesindel hoffentlich im Kittchen sitzen.
Sein Handy begann aufdringlich zu piepen. Gewohnheitsmäßig nahm er es vom Gürtel und las die empfangene SMS-Nachricht:
»Die Rothauben suchen nach Artjom Sergejewitsch Golowin. Steckbrief: Humo; siebenundzwanzig Jahre alt; Größe: eins achtzig; Augenfarbe: grau; Nase: gerade; Haare: hellbraun, gelockt, Seitenscheitelfrisur. Ein Foto kann auf der Homepage der Rothauben heruntergeladen werden. Der Humo muss in der Lage sein, auf Fragen zu antworten. Das Honorar für seine Ergreifung beträgt …«
Die Zahlen verschwammen vor Artjoms Augen. Die Rothauben hatten ein atemberaubendes Sümmchen auf seinen Kopf ausgesetzt. Er steckte das Handy an den Gürtel zurück und seufzte entmutigt. Wenn er jetzt zur Polizei ginge, konnte der Schuss auch nach hinten losgehen. Es war nicht auszuschließen, dass auch Polizisten von dem Auftrag Wind bekommen hatten. Und wie sie dann reagieren würden, konnte er sich schon vorstellen: Das ausgesetzte Kopfgeld war einfach zu verlockend.
Nach Hause konnte er nicht. Zu den Eltern? Nein. Zu Lusja? Auf keinen Fall. Artjom wollte nicht auch noch seine Lieben mit in den Schlamassel hineinziehen. Blieb eigentlich nur eine
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