Die verborgene Stadt - Die Prophezeiung
Schultern und riss ihn herum.
»Hiergeblieben, Freundchen!«
»Hau ihm eine rein, Dima!«, stachelte ihn die junge Frau auf. »Schlag zu!«
»Lass sofort los!«, fauchte Lubomir.
Der Kurzgeschorene hielt den Zauberer mit einer Hand am Kragen fest und schlug ihm mit der anderen ansatzlos ins Gesicht. Lubomir taumelte. Aus seiner gebrochenen Nase strömte Blut.
»Dir werde ich das Spannen schon austreiben, du Perversling! «
Doch der Zauberer hörte nichts mehr. Das Blut rann ihm auf die Lippen, und mit der Zunge ertastete er seinen süßlichen Geschmack. Lubomir wurde von glühendem Zorn gepackt: Seine Finger krampften sich zusammen, und seine Schläfen schmerzten, als würden sie von einem Schraubstock zusammengepresst. Das Weiße in seinen Augen überzog sich mit einem grünen Schleier, und sein Herz schlug so heftig, dass es zu zerspringen drohte.
»Schlag zu, schlag zu!«, tobte die Blondine weiter.
Ihr Kavalier holte aus, doch der Zauberer riss sich los und stieß seinen Gegner von sich weg. Der Kurzgeschorene flog ins Gebüsch.
»Dima!«, kreischte die Blondine.
»Na warte!«
Der Hüne rappelte sich rasch wieder auf, doch kaum, dass er wieder auf den Beinen stand, traf ihn eine schwere Marmorkugel und schlug ihm das Gesicht zu Brei. Die Blondine schrie wie am Spieß.
»Halt den Mund!«, brüllte der Zauberer sie an. »Halt endlich den Mund!«
Seine Schläfen pochten und glühten. Die Frau hörte nicht auf zu schreien.
»Halt den Mund!!«
Die Blondine flüchtete in den Wald, doch sie kam nicht weit. Aus den Augen des Zauberers schossen grüne, mäandernde Blitze, holten sie ein, pressten sie gegen den nächsten Baum, bohrten sich wie ein Gummiband in ihre weiche Haut und fesselten sie an Händen und Füßen. Die Frau schrie immerzu.
»Sei endlich still!!«
Nun war es Wseslawas Gesicht, das Lubomir vor sich sah. Es war Wseslawa, die verzweifelt den Mund aufriss und mit irren Augen um Gnade flehte. Und es war Wseslawas schlanker Hals, um den sich die Perlenkette legte und ihn einschnürte, immer tiefer und tiefer …
Der Zauberer wischte sich die schweißnassen Haare aus der Stirn.
Immer diese Erinnerungen … Die Episode im Wald hatte sich für immer in sein Gedächtnis eingebrannt, jedes Detail, jede Geste: das Blut an seinen Händen, die gelbe Halskette, die verlöschenden Augen des Mädchens und sein eigener, ruhiger Herzschlag. In jenem Augenblick hatte der Zauberer eine ungekannte Wärme empfunden.
Lubomir hielt die Hände über den Kohlenofen und starrte finster in die spärliche Glut. Es war kalt, und er fror. Selbst mitten im Sommer, in seinem warmen Kabinett, musste er sich in seine dicke Wolljacke hüllen, und erst recht im Winter … Lubomir lief es kalt den Rücken
herunter. Er hasste den Winter. Die klebrigen Schneeflocken, der beißende Frost und der eisige, schneidende Wind trieben ihn an den Rand des Wahnsinns. Fast die gesamte kalte Jahreszeit verbrachte er vor einem knisternden Kaminfeuer und saugte gierig die Wärme auf, stets in panischer Furcht, das Feuer könnte verlöschen und seinen zerbrechlichen Körper der gnadenlosen Kälte anheimgeben.
Die Gedanken an den Winter kamen dem Zauberer immer dann, wenn seine Stimmung am Boden war. Lubomir trat an seinen riesigen Arbeitstisch heran und betrachtete missmutig die komplizierte Bronzekonstruktion, die darauf stand.
»Wieso funktioniert das denn nicht?«
Er führte eine DNA-Fernfahndung nach einem Menschen durch. Für einen Zauberer von seinem Kaliber gehörte eine solche Operation zum simplen Handwerkszeug. Auf seine Anweisung war Pulle in die Wohnung des mutmaßlichen Komplizen von Cortes, eines gewissen Artjom Golowin, eingedrungen und hatte von dort einen Kamm und eine Zahnbürste mitgebracht. Der Zauberer war sich absolut sicher, dass er innerhalb von fünf oder höchstens zehn Minuten herausfinden würde, wo sich der Humo – und damit auch das Amulett – befindet.
Nachdem er die Gewebeproben in der Spezialvorrichtung platziert hatte, bewerkstelligte Lubomir mit an Überheblichkeit grenzender Lässigkeit den entsprechenden Zauber. In der Bronzekonstruktion erschien eine leuchtende Kugel, die das düstere Kabinett in ein
schummriges, grünes Licht tauchte, doch wider Erwarten stellte sich kein Abbild des Humos ein. Der Zauber wirkte nicht. Lubomir warf seinen Stolz über Bord und begann noch einmal von vorne, langsam, Schritt für Schritt, wie in seiner Lehrzeit. Er probierte sieben verschiedene Suchmethoden
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