Die verborgene Wirklichkeit
von der niedrigeren Energie erfüllt.
Da wir hier aber nicht von einem einzelnen Teilchen reden, sondern von einem ganzen Universum, ist der Tunnelprozess komplizierter. Der Wert des Feldes, so Coleman und de Luccia, gelangt nicht im ganzen Raum gleichzeitig durch die Barriere, sondern ein »Keim«-Tunnelereignis schafft eine kleine, an einer zufälligen Stelle angesiedelte Blase, die von der geringeren Feldenergie durchzogen ist. Anschließend wächst die Blase ganz ähnlich wie Vonneguts
Eis-9, u so dass der Bereich, in dem das Feld durch den Tunneleffekt zu der niedrigeren Energie gelangt ist, immer größer wird.
Solche Ideen kann man unmittelbar auf die String-Landschaft anwenden. Stellen wir uns einmal vor, die zusätzlichen Dimensionen des Universums hätten die besondere Form, die dem linken Tal in Abbildung 6.6(a) entspricht. Da dieses Tal vergleichsweise hoch liegt, wird der bekannte dreidimensionale Alltagsraum von einer großen kosmologischen Konstante erfüllt – die für eine starke abstoßende Gravitation sorgt – und bläht sich deshalb schnell auf. Dieses expandierende Universum ist zusammen mit seinen zusätzlichen Dimensionen auf der linken Seite von Abbildung 6.6(b) dargestellt. Dann tunnelt eine winzige Raumregion an einer zufälligen Stelle und zu einem zufälligen Zeitpunkt durch den dazwischen liegenden Berg in das Tal auf der rechten Seite von Abbildung 6.6(a). Dabei bewegt sich die winzige Raumregion nicht (was immer das auch bedeuten mag), sondern die Form der zusätzlichen Dimensionen (Form, Größe, die den Calabi-Yau-Raum durchziehenden Flüsse) in der kleinen Region verändert sich. In dem winzigen Bereich verwandeln sich die zusätzlichen Dimensionen und nehmen die Form an, die dem rechten Tal in Abbildung 6.6(a) entspricht. Dieses neue Blasenuniversum liegt in dem ursprünglichen, wie es in Abbildung 6.6(b) dargestellt ist.
Das neue Universum dehnt sich nun schnell aus und verwandelt dabei überall dort, wo es hinkommt, die Eigenschaften der zusätzlichen Dimensionen. Da aber die kosmologische Konstante des neuen Universums abgenommen hat – es befindet sich in der Landschaft an einer niedrigeren Stelle als vorher –, erlebt es auch eine schwächere abstoßende Gravitation, und deshalb dehnt es sich nicht so schnell aus wie das ursprüngliche Universum. Wir haben also ein expandierendes Blasenuniversum mit einer neuen Form der Extradimensionen, das in einem noch schneller expandierenden Blasenuniversum enthalten ist, in dem die zusätzlichen Dimensionen nach wie vor ihre ursprüngliche Form haben. 17
Der Vorgang kann sich wiederholen. An anderen Stellen in dem ursprünglichen wie auch in dem neuen Universum können sich durch weitere Tunnelereignisse immer neue Blasen öffnen, so dass Regionen mit wiederum anderen Formen und Eigenschaften der zusätzlichen Dimensionen entstehen ( Abbildung 6.7 ). Irgendwann ist die Weite des Raumes mit Blasen im Inneren von Blasen im Inneren von Blasen übersät – und jede macht eine inflationäre Expansion durch, in jeder haben die zusätzlichen Dimensionen andere Eigenschaften, und in jeder ist die kosmologische Konstante kleiner als in dem großen Blasenuniversum, in dem sie entstanden sind.
Abbildung 6.6 (a) Quantentunneln in der String-Landschaft. (b) Durch den Tunneleffekt entsteht eine kleine Raumregion – hier als kleinere, dunklere Blase dargestellt –, in der die Form der zusätzlichen Dimensionen eine andere ist.
Das Ergebnis ist eine kompliziertere Version des Schweizer-Käse-Multiversums, das wir zuvor im Zusammenhang mit der immerwährenden Inflation kennengelernt haben. In der ursprünglichen Version gab es zweierlei Regionen: die »Käsemasse«, also Raumregionen, die eine inflationäre Expansion durchmachen, und die »Löcher«, in denen dies nicht der Fall ist. In diesem Bild spiegelte sich unmittelbar die vereinfachte Landschaft mit einem einzelnen Berg wider, dessen Fuß wir auf die Meereshöhe verlegt hatten. Die reichhaltigere Landschaft der Stringtheorie mit ihren zahlreichen Gipfeln und Tälern, die unterschiedlichen Werten der kosmologischen Konstante entsprechen, lässt die unterschiedlichen Regionen in Abbildung 6.7 entstehen – Blasen innerhalb von Blasen innerhalb von Blasen wie eine neue Reihe russischer Puppen, die jeweils von einem anderen Künstler bemalt wurden. Letztlich werden durch die unaufhörliche Reihe von Quanten-Tunnelereignissen in der gebirgigen String-Landschaft alle möglichen
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