Die verborgene Wirklichkeit
im Hinblick auf die Frage, welche Teile man zusammensetzt – welche Form und welche Größe der zusätzlichen Dimensionen, welche Feldflüsse, die durch die Löcher der Calabi-Yau-Räume fließen, welche Branen und so weiter. Die führenden Vertreter des Fachgebiets vereinigen das Beste strenger Wissenschaftlichkeit mit künstlerischer Sensibilität. Bisher hat niemand ein Beispiel gefunden, in dem sich die Eigenschaften unseres Universums genau wiederfinden. Aber da noch rund 10 500 Möglichkeiten auf ihre Analyse warten, besteht allgemein Einigkeit darüber, dass unser Universum irgendwo in der Landschaft zu Hause sein dürfte.
Ist das noch Wissenschaft?
In diesem Kapitel haben wir eine andere Art von Logik ins Spiel gebracht. Bisher haben wir die Frage untersucht, wie sich verschiedene Entwicklungen in der physikalischen und kosmologischen Grundlagenforschung auf die Wirklichkeit im Ganzen auswirken. Für mich ist es eine wunderbare Vorstellung, dass Kopien der Erde in weit entfernten Regionen des Raumes existieren, dass unser Universum eine von vielen Blasen in einem sich aufblähenden Kosmos ist, oder dass wir
auf einer von vielen Branwelten leben, die einen riesigen kosmischen Brotlaib bilden. Das alles sind zweifellos provokative, verlockende Ideen.
Mit dem Landschafts-Multiversum dagegen haben wir auf eine ganz andere Weise auf Paralleluniversen zurückgegriffen. In dem zuvor erläuterten Ansatz erweitert das Landschafts-Multiversum nicht nur unsere Sichtweise auf die Natur »da draußen«. Eine Ansammlung von Paralleluniversen, Welten, die sich unseren Fähigkeiten, sie zu besuchen, zu sehen, zu untersuchen oder zu beeinflussen, jetzt und vielleicht für alle Zeiten entziehen, werden unmittelbar zur Auswertung von Beobachtungen herangezogen, die wir hier, in diesem Universum, anstellen.
Damit erhebt sich eine entscheidende Frage: Ist das überhaupt noch Wissenschaft?
KAPITEL 7
Naturwissenschaft und Multiversum: Über Vermutungen, Erklärungen und Vorhersagen
Wenn David Gross, einer der Physik-Nobelpreisträger des Jahres 2004, auf das Landschafts-Multiversum der Stringtheorie schimpft, bestehen gute Aussichten, dass er aus einer Rede zitiert, die Winston Churchill am 29. Oktober 1941 hielt: »Niemals nachgeben … niemals, niemals, niemals, niemals – in nichts, ob groß oder klein, wichtig oder unwichtig – niemals nachgeben.« Wenn Paul Steinhardt, Albert-Einstein-Professor für Naturwissenschaft an der Princeton University und Mitentdecker der modernen kosmischen Inflation, über seine Abscheu gegenüber dem Landschafts-Multiversum spricht, tut er dies nicht ganz so blumig, aber man kann sicher sein, dass er irgendwann einen Vergleich mit der Religion anstellt, und einen abschätzigen noch dazu. Martin Rees, der britische Hofastronom, hält das Multiversum dagegen für den natürlichen nächsten Schritt in unserem fortschreitenden Erkenntnisprozess über alles, was ist. Und Leonard Susskind erklärt, wer die Möglichkeit ignoriere, dass wir Teil eines Multiversums sind, verschließe die Augen vor einer Vision, die einen zu überwältigen drohe. Das sind nur ein paar Beispiele von vielen, energischen Neinsagern ebenso wie begeisterten Anhängern, und nicht immer drücken sie ihre Meinung so gewählt aus.
In dem Vierteljahrhundert, seit ich an der Stringtheorie arbeite, habe ich keine leidenschaftlicheren und scharfzüngiger geführten Auseinandersetzungen erlebt als die über die Landschaft der Stringtheorie und das Multiversum, das vielleicht daraus erwächst. Der Grund ist klar. Viele halten diese Entwicklungen für ein Schlachtfeld, auf dem um die Seele der Wissenschaft gerungen wird.
Die Seele der Wissenschaft
Das Landschafts-Multiversum war zwar der Katalysator, aber die Themen, um die es in den Diskussionen geht, stehen im Mittelpunkt jeder Theorie, in der ein Multiversum vorkommt. Ist es wissenschaftlich zu rechtfertigen, wenn man von einem Multiversum spricht und damit etwas über Bereiche aussagt, die nicht nur in der Praxis, sondern in vielen Fällen sogar prinzipiell unzugänglich sind? Ist die Vorstellung von einem Multiversum überprüfbar oder falsifizierbar? Bietet der Rückgriff auf das Multiversum Möglichkeiten zur Erklärung der Welt, ohne die unsere Naturbeschreibung unvollständig bliebe?
Wenn diese Fragen zu verneinen sind, was die Kritiker nachdrücklich behaupten, dann befinden sich die Anhänger des Multiversums auf recht sonderbarem Terrain. Nicht überprüfbare,
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