Die verborgene Wirklichkeit
deutlichen Beleg für die Theorie betrachten. Die Argumentation lautet: Wenn alle Universen einer gegebenen Sammlung durch die gleichen grundlegenden physikalischen Vorgänge entstanden sind, sagt die Theorie voraus, dass ungefähr 99 Prozent von ihnen ähnlich aussehen sollten wie das, was wir beobachten, und nur ein Prozent sollte nennenswert davon abweichen.
Gäbe es also im inflationären Multiversum eine endliche Population von Universen, könnten wir ganz einfach den Schluss ziehen, dass die Zahl der abweichenden Universen, in denen die aus den Quantenprozessen erwachsenden Daten nicht mit den Erwartungen übereinstimmen, vergleichsweise sehr klein sein wird. Ist die Population der Universen aber wie im inflationären Multiversum nicht
endlich, gestaltet sich eine Interpretation der Zahlen wesentlich schwieriger. Was bedeuten 99 Prozent der Unendlichkeit? Unendlich. Was bedeutet ein Prozent der Unendlichkeit? Ebenfalls unendlich. Welches Unendlich ist größer? Die Antwort setzt voraus, dass wir zwei unendlich große Mengen vergleichen. Und wie wir bereits erfahren haben, hängt die Antwort selbst dann, wenn eine unendlich große Menge eindeutig größer zu sein scheint als die andere, von der Vergleichsmethode ab.
Die Schlussfolgerung des Multiversums-Skeptikers lautet also: Wenn die Inflation immerwährend ist, werden gerade die Vorhersagen, auf die wir unser Vertrauen in die Theorie stützen, untergraben . Jedes Ergebnis, das die Quantenberechnungen zulassen, und sei es auch noch so unwahrscheinlich – eine Quantenwahrscheinlichkeit von 0,1 Prozent, von 0,0001 Prozent, von 0,0000000001 Prozent – wäre in einer unendlichen Zahl von Universen verwirklicht, einfach weil jeder der genannten Prozentsätze, mit Unendlich multipliziert, unendlich ergibt. Ohne eine grundlegende Anleitung zum Vergleich unendlicher Ansammlungen können wir nicht behaupten, eine bestimmte Ansammlung von Universen sei größer als die anderen, und deshalb sei dies die Art von Universen, die wir mit der größten Wahrscheinlichkeit beobachten sollten. Damit kommt uns die Fähigkeit, eindeutige Vorhersagen zu treffen, abhanden.
Der Optimist gelangt zu der Schlussfolgerung, die auffällige Übereinstimmung zwischen den Quantenberechnungen zur kosmischen Inflation und den Daten wie in Abbildung 3.5 müsse eine tiefe Wahrheit widerspiegeln. Unterstellt man eine endliche Zahl von Universen und Beobachtern, lautet diese tiefe Wahrheit: Universen, in denen die Daten von den Vorhersagen der Quantentheorie abweichen – solche mit einer Quantenwahrscheinlichkeit von 0,1 Prozent, 0,0001 Prozent oder 0,0000000001 Prozent –, sind tatsächlich selten, und aus diesem Grund befinden sich ganz gewöhnliche Multiversums-Bewohner wie wir nicht in einem solchen Universum. Wenn die Zahl der Universen unendlich ist, so die Schlussfolgerung des Optimisten, muss die tiefe Wahrheit darin liegen, dass anormale Universen auf eine noch nachzuweisende Art ebenfalls selten sein müssen. Eines Tages, so die Erwartung, werden wir ein Maß entwickeln können, eine eindeutige Möglichkeit, um die verschiedenen unendlich großen Ansammlungen von Universen zu vergleichen, und die Universen, die der Quantentheorie zufolge höchst ungewöhnliche Verirrungen sind, werden im Vergleich zu denen, die auf ungleich wahrscheinlicheren Quantenereignissen beruhen, ein winzig kleines Maß haben. Dies zu erreichen, bleibt eine ungeheuer schwierige Aufgabe, aber die Vertreter des Fachgebiets sind in ihrer Mehrzahl überzeugt, dass wir wegen der Übereinstimmung in Abbildung 3.5 eines Tages Erfolg haben werden. 12
Mysterien und Multiversen: Bietet ein Multiversum Erklärungspotenzial, das uns ansonsten vorenthalten bliebe?
Bis hierher ist zweifellos bereits aufgefallen, dass Vorhersagen, die aus einer Multiversums-Theorie erwachsen, selbst den optimistischsten Erwartungen zufolge einen anderen Charakter haben werden als das, was wir traditionell von der Physik erwarten. Die Periheldrehung des Merkur, das Dipolmoment eines Elektrons, die Energie, die freigesetzt wird, wenn ein Urankern in Barium und Krypton zerfällt: Das sind Vorhersagen. Sie erwachsen aus mathematischen Berechnungen, die sich auf handfeste physikalische Theorien stützen und genaue, nachprüfbare Zahlen liefern. Und diese Zahlen wurden im Experiment bestätigt. Die Berechnungen besagen beispielsweise, dass das magnetische Moment des Elektrons 2,0023193043628 beträgt; den Messungen zufolge beträgt es
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