Die verborgene Wirklichkeit
Quantenuniversum.
Information
John Wheeler hatte nicht nur ein besonderes Talent dafür, die begabtesten jungen Wissenschaftler der Welt zu finden und zu fördern (neben Hugh Everett gehörten Richard Feynman, Kip Thorne und, wie wir in Kürze genauer erfahren werden, Jacob Bekenstein zu seinen Studenten), sondern er verfügte auch über eine geradezu gespenstische Fähigkeit, jene Themen zu erkennen, deren Untersuchung unsere grundlegenden Auffassungen davon, wie die Welt funktioniert, verändern sollten. Als wir 1998 in Princeton zusammen zu Mittag aßen, fragte ich ihn, welches Thema in der Physik der kommenden Jahrzehnte nach seiner Auffassung die beherrschende Rolle spielen würde. Daraufhin tat er das Gleiche, was er an diesem Tag schon häufig getan hatte: Er senkte den Kopf, als sei sein alternder Körper es müde geworden, einen so großen Geist zu stützen. Jetzt aber schwieg er so lange, dass ich mich für kurze Zeit fragte, ob er mir entweder nicht antworten wollte oder vielleicht die Frage vergessen hatte. Dann blickte er langsam auf und sagte ein einziges Wort: »Information.«
Ich war nicht überrascht. Wheeler vertrat schon seit einiger Zeit eine Sichtweise auf die physikalischen Gesetze, die ganz anders war als alles, was angehende Physiker im Rahmen des üblichen akademischen Lehrplans vorgesetzt bekommen. Traditionell geht es in der Physik um Dinge – um Planeten, Steine, Atome, Teilchen, Felder – und um die Untersuchung der Kräfte, die das Verhalten dieser Dinge beeinflussen und ihre Wechselwirkungen miteinander bestimmen. Wheeler dagegen vertrat die Ansicht, dass man Dinge – Materie und Strahlung – als zweitrangig betrachten sollte, als Träger von etwas Abstrakterem, Grundsätzlicherem: Information. Er behauptete nicht etwa, Materie und Strahlung seien in irgendeiner Form Illusionen, regte jedoch dazu an, sie als die materielle Ausdrucksform von etwas Fundamentalerem anzusehen. Nach seiner Überzeugung stellt Information – darüber, wo ein Teilchen sich befindet, ob es sich so oder so herum dreht, ob seine Ladung positiv oder negativ ist und so weiter – einen nicht mehr reduzierbaren Kern im Herzen der Wirklichkeit dar. Dass solche Information sich in realen Teilchen wiederfindet, die reale Positionen einnehmen, einen eindeutigen Spin und eine eindeutige Ladung haben, ist der Verwirklichung von Wolkenkratzerentwürfen eines Architekten vergleichbar. Die grundlegende Information befindet sich in den Blaupausen. Der Wolkenkratzer ist nur die physische Realisierung der Information, die in den Plänen des Architekten steckt.
So betrachtet, kann man sich das Universum als Informationsverarbeitungsvorrichtung vorstellen. Es nimmt Informationen darüber auf, wie die Dinge jetzt
sind, und erzeugt Informationen, die festlegen, wie die Dinge im nächsten Jetzt und in dem darauffolgenden Jetzt sein werden. Unsere Sinne nehmen diese Informationsverarbeitung wahr, indem sie aufzeichnen, wie sich die physikalische Umwelt im Laufe der Zeit verändert. Aber die physikalische Umwelt selbst ist emergent; sie erwächst aus dem Grundbestandteil, der Information, und entwickelt sich nach den grundlegenden Regeln, den Gesetzen der Physik.
Ob ein solcher informationstheoretischer Standpunkt in der Physik die vorherrschende Stellung erlangen wird, die Wheeler sich vorstellte, weiß ich nicht. Immerhin kam es in jüngster Zeit insbesondere durch Arbeiten der Physiker Gerard ’t Hooft und Leonard Susskind zu einer wichtigen Verschiebung im Denken, die sich aus rätselhaften Fragen nach der Information in einem besonders exotischen Zusammenhang ergab: den Schwarzen Löchern.
Schwarze Löcher
Schon ein Jahr nach Veröffentlichung der Allgemeinen Relativitätstheorie fand der deutsche Astronom Karl Schwarzschild die erste exakte Lösung der Einstein-Gleichungen; sie beschrieb die Eigenschaften von Raum und Zeit rund um ein massereiches, kugelförmiges Objekt, beispielsweise einen Stern oder Planeten. Bemerkenswert daran war nicht nur, dass Schwarzschild auf die Lösung gestoßen war, als er an der russischen Front während des Ersten Weltkrieges die Flugbahnen von Artilleriegeschossen berechnete, sondern auch, dass er damit den Meister auf seinem eigenen Gebiet geschlagen hatte: Einstein hatte für die Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie bis dahin nur Näherungslösungen gefunden. Einstein war so beeindruckt, dass er Schwarzschilds Errungenschaft vor der Preußischen Akademie der
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