Die verborgene Wirklichkeit
positive Energie besitzt, verlangt der Energieerhaltungssatz, dass das andere eine ebenso große negative Energie besitzen muss – eine Vorstellung, die in einem klassischen Universum sinnlos wäre. ab Die Unschärferelation eröffnet jedoch einen Spielraum für das Auftreten dieser seltsamen Eigenschaft: In der Quantenwelt sind Teilchen mit negativer Energie erlaubt, vorausgesetzt, sie dehnen ihren Aufenthalt nicht allzu lange aus. Wenn ein Teilchen nur für kurze Zeit existiert, sorgt die Unschärferelation dafür, dass Experimente ganz prinzipiell nicht genügend Zeit haben, um das Vorzeichen der Energie festzustellen. Aus eben diesem Grund ist das Teilchenpaar durch die Quantengesetze zur schnellen gegenseitigen Vernichtung verdammt. Die Quantenfluktuationen führen also immer wieder dazu, dass Teilchenpaare entstehen und sich gegenseitig vernichten, entstehen und vernichten, ein stetiges, durch die Unschärferelation bedingtes Hintergrundrauschen im ansonsten leeren Raum.
Hawking untersuchte solche allgegenwärtigen Quantenfluktuationen nicht an Feldern, die im leeren Raum existieren, sondern an solchen in der Nähe des Ereignishorizonts eines Schwarzen Lochs. Wie er dabei feststellte, sieht das, was da passiert, manchmal so aus wie immer: Teilchenpaare entstehen nach dem Zufallsprinzip, finden einander sehr schnell wieder und vernichten sich gegenseitig. Hin und wieder jedoch geschieht etwas Neues: Entstehen die Teilchen hinreichend nahe am Ereignishorizont, dann kann eines von ihnen in das Schwarze Loch hineingezogen werden, während das andere in den Raum entweicht. Ohne Schwarzes Loch passiert so etwas nie, denn wenn die Teilchen einander nicht vernichten würden, würde dasjenige mit der negativen Energie den schützenden Dunst der Quantenunschärfe verbotenerweise überleben. Wie Hawking erkannte, kann die starke Verzerrung von Raum und Zeit, die durch das Schwarze Loch entsteht, unter Umständen dafür sorgen, dass Teilchen, die für jeden Beobachter außerhalb des Lochs eine negative Energie haben, für einen bedauernswerten Beobachter im Inneren des Lochs eine positive Energie haben.
Damit bietet das Schwarze Loch den Teilchen mit negativer Energie eine sichere Zuflucht, und die Notwendigkeit, sich hinter der Quantenunschärfe zu verstecken, entfällt. Die ausgesandten Teilchen können der gegenseitigen Vernichtung entgehen und ihre eigenen, getrennten Wege einschlagen. 4
Die übrig gebliebenen Teilchen mit positiver Energie schießen von dem Bereich knapp oberhalb des Ereignishorizonts eines Schwarzen Lochs nach außen und sehen für jeden, der aus der Ferne zusieht, wie Strahlung aus. Für dieses Phänomen hat sich die Bezeichnung Hawking-Strahlung eingebürgert. Die Teilchen mit negativer Energie sind nicht unmittelbar zu sehen, denn sie fallen ja in das Schwarze Loch, dennoch haben sie erkennbare Auswirkungen. Genau so, wie die Masse eines Schwarzen Lochs zunimmt, wenn es sich irgendeine Form von positiver Energie einverleibt, so nimmt seine Masse ab, wenn es etwas mit negativer Energie aufnimmt. Gemeinsam machen die beiden Prozesse das Schwarze Loch zu etwas Ähnlichem wie einem brennenden Stück Kohle: Es sendet einen stetigen Strahlungsstrom aus, während es an Masse verliert. 5 Berücksichtigt man die quantentheoretischen Überlegungen, sind Schwarze Löcher also nicht völlig schwarz. Diese Erkenntnis Hawkings traf die Fachwelt wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Damit ist aber nicht gesagt, dass ein durchschnittliches Schwarzes Loch rot glüht. Die Partikel, die aus dem Bereich knapp außerhalb des Lochs ausstrahlen, müssen sich sehr anstrengen, um der Gravitationsanziehung zu entkommen. Dabei wenden sie Energie auf, und die Strahlung kühlt sich dementsprechend beträchtlich ab. Nach Hawkings Berechnungen würde ein Beobachter, der weit vom Schwarzen Loch entfernt ist, für die so entstehende »ermüdete« Strahlung eine Temperatur messen, die umgekehrt proportional zur Masse des Schwarzen Lochs ist. Ein großes Schwarzes Loch, wie es sich beispielsweise im Zentrum unserer Galaxis befindet, hat eine Temperatur von weniger als einem Billionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt. Die Temperatur eines Schwarzen Lochs von der Masse der Sonne läge immer noch bei weniger als einem Millionstel Grad und wäre damit winzig klein, selbst im Vergleich mit der kosmischen Hintergrundstrahlung, die vom Urknall übrig geblieben ist und deren Temperatur immerhin 2,7 Grad beträgt. Damit die Temperatur
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