Die verborgene Wirklichkeit
eines Schwarzen Lochs so hoch ist, dass man das Abendessen für die Familie braten könnte, dürfte es nur ungefähr ein Zehntausendstel der Erdmasse besitzen; das heißt, es müsste nach astrophysikalischen Maßstäben außerordentlich klein sein.
In welcher Größenordnung die Temperatur eines Schwarzen Lochs liegt, ist allerdings von untergeordneter Bedeutung. Die Strahlung aus weit entfernten astrophysikalischen Schwarzen Löchern wird zwar den Nachthimmel nicht
erhellen, aber die Tatsache, dass sie überhaupt eine Temperatur haben und Strahlung aussenden, legt die Vermutung nahe, dass die Experten Bekensteins Annahme, Schwarze Löcher könnten Entropie besitzen, vorschnell zurückgewiesen haben. Hawking stopfte dann auch noch das letzte potenzielle Schlupfloch: Auf der Grundlage der Berechnungen, mit denen er die Temperatur eines bestimmten Schwarzen Lochs und die von ihm ausgehende Strahlung ermittelt hatte, verfügte er über alle notwendigen Informationen, um aus den herkömmlichen Gesetzen der Thermodynamik den Wert für die im Schwarzen Loch enthaltene Entropie abzuleiten. Die Antwort, die er dabei erhielt: Die Entropie ist proportional zur Oberfläche des Schwarzen Lochs, genau wie Bekenstein es vermutet hatte.
Ende 1974 war der Zweite Hauptsatz also wieder Gesetz. Durch Bekensteins und Hawkings Erkenntnisse wusste man nun, dass die Gesamtentropie in allen Situationen zunimmt, solange man nicht nur die Entropie der gewöhnlichen Materie und Strahlung in Betracht zieht, sondern auch die Entropie im Innern Schwarzer Löcher, die man anhand der aufsummierten Oberflächeninhalte bestimmen kann. Schwarze Löcher sind also keine Entropie-Abflüsse, durch deren Existenz der Zweite Hauptsatz umgestoßen würde, sondern sie tragen aktiv dazu bei, dass die Unordnung im Universum stetig zunimmt, genau wie es der Zweite Hauptsatz aussagt.
Diese Schlussfolgerung war eine willkommene Erleichterung. Der Zweite Hauptsatz, der sich aus scheinbar unangreifbaren statistischen Überlegungen ergibt, kam für viele Physiker einem heiligen Gesetz so nahe, wie es in der Naturwissenschaft überhaupt nur möglich ist. Seine Rehabilitation bedeutete, dass die Welt wieder in Ordnung war. Nach und nach machte aber ein wesentliches kleines Detail in den Entropieberechnungen deutlich, dass die Entropiebilanz des Zweiten Hauptsatzes nicht die Kernfrage war, sie hier zur Debatte stand. Dieser Ehrentitel gebührt vielmehr dem Problem, wo die Entropie gespeichert wird ; die Bedeutung dieses Problems wird deutlich, wenn wir die innige Verbindung zwischen der Entropie und dem zentralen Thema dieses Kapitels erkennen: der Information.
Entropie und verborgene Information
Bisher habe ich die Entropie locker als Maß für die Unordnung und, quantitativer ausgedrückt, als Zahl der möglichen Umordnungen der mikroskopischen Bestandteile eines Systems beschrieben, durch die seine makroskopischen
Eigenschaften sich nicht verändern. Etwas anderes, das ich jetzt ausführen möchte, habe ich bisher unausgesprochen gelassen: Man kann sich Entropie auch als Maß für die Informationslücke zwischen den Daten, die man hat (denjenigen, welche die makroskopischen Gesamteigenschaften beschreiben) und denen, die man nicht hat (denjenigen, welche die detaillierte mikroskopische Anordnung des Systems festlegen) vorstellen. Entropie ist ein Maß für die zusätzliche Information, die in den mikroskopischen Details des Systems enthalten ist und die, wenn sie uns zugänglich wäre, die Konfiguration auf der Ebene des Allerkleinsten von allen anderen Konfigurationen unterscheiden würde, die ihr auf makroskopischer Ebene ähnlich sehen. Um das zu verdeutlichen, können wir uns vorstellen, Oscar habe sein Zimmer aufgeräumt; nur die 1000 Silberdollar, die er letzte Woche beim Poker gewonnen hat, liegen noch verstreut auf dem Fußboden. Auch nachdem er sie auf einen netten Haufen geworfen hat, sieht er nur eine chaotische Anordnung von Dollarmünzen. Bei manchen liegt der Kopf oben, bei anderen die Zahl. Wenn wir nach dem Zufallsprinzip manche Münzen umdrehen, fällt es ihm nicht auf – ein Beleg, dass das System mit den 1000 hingeworfenen Silberdollar eine hohe Entropie besitzt. Das Beispiel ist so einfach, dass wir die Entropie direkt abzählen können. Wären es nur zwei Münzen, gäbe es vier mögliche Konfigurationen: Kopf/Kopf, Kopf/Zahl, Zahl/Kopf und Zahl/Zahl – zwei Möglichkeiten für die erste Münze, zwei für die zweite. Drei Münzen können
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