Die verborgene Wirklichkeit
Analysen machten die Menge der in einem bestimmten Schwarzen Loch enthaltenen Informationen dingfest, ohne Erkenntnisse über die Information selbst zu liefern. 8
Das sind und bleiben faszinierende Fragen. Es gibt aber noch ein anderes Rätsel, das eher grundsätzlicher Natur zu sein scheint: Warum wird die Menge der Information durch den Flächeninhalt der Oberfläche des Schwarzen Lochs festgelegt? Wenn man mich fragen würde, wie viele Informationen in der amerikanischen Kongressbibliothek gespeichert sind, würde ich mich erkundigen, wie viel Platz die Innenräume der Bibliothek bieten. Ich würde wissen wollen, welche Kapazität das weitverzweigte Innenleben der Bibliothek hat, so dass Bücher in Regale gestellt, Mikrofilme archiviert und Landkarten, Fotos und Dokumente gestapelt werden können. Das Gleiche gilt für die Information in meinem Kopf: Sie scheint an das Volumen meines Gehirns, den für neuronale Verknüpfungen verfügbaren Raum, gebunden zu sein. Entsprechendes gilt für die Information in einem Gefäß voller Dampf, die in den Eigenschaften der Dampfteilchen gespeichert ist. Dagegen konnten Bekenstein und Hawking überraschenderweise nachweisen, dass die Informationsspeicherkapazität eines Schwarzen Lochs nicht vom Volumen seines Inneren abhängt, sondern vom Flächeninhalt seiner Oberfläche.
Bevor es diese Befunde gab, hatten die Physiker folgende Überlegung angestellt: Da die Planck-Länge (10 – 33 Zentimeter) offenbar die kürzeste Länge ist, für die der Begriff »Entfernung« noch eine Bedeutung hat, muss das kleinste sinnvolle Volumen ein winziger Würfel sein, dessen Kantenlänge der Planck-Länge entspricht (ein Volumen von 10 – 99 Kubikzentimetern). Nach einer vernünftigen, weit verbreiteten Annahme sollte das kleinstmögliche Volumen unabhängig von zukünftigen technischen Fortschritten nicht mehr als die kleinste Einheit der Information speichern können, also ein Bit. Deshalb, so die Erwartung, sollte eine
Raumregion ihre maximale Informationsspeicherkapazität erreichen, wenn die Zahl der in ihr enthaltenen Bits ebenso groß ist wie die Zahl der Planck-Würfel, die in sie hineinpassen. Dass die Planck-Länge in Hawkings Befund vorkam, war deshalb keine Überraschung. Überraschend war aber, dass die Informationsspeicherfähigkeit eines Schwarzen Lochs nicht von der Zahl der Würfel von Planck-Größe in seinem Volumen abhängt, sondern eben von der Zahl der Quadrate in Planck-Größe auf seiner Oberfläche.
Dies war der erste Hinweis auf Holographie – auf eine Informationsspeicherkapazität, die von der Größe einer Randfläche abhängt und nicht vom Volumen im Inneren dieser Randfläche. In den nachfolgenden drei Jahrzehnten entwickelte sich in einer welchselvollen Geschichte aus diesem Hinweis eine dramatische neue Denkweise im Hinblick auf die Gesetze der Physik.
Wo ist die verborgene Information im Schwarzen Loch?
Das Planck-Schachbrett mit seinen über den Ereignishorizont verteilten Nullen und Einsen ( Abbildung 9.2 ) zeigt in symbolischer Darstellung, was Hawking über die Menge der Information in einem Schwarzen Loch herausfand. Aber wie wörtlich können wir das Bild eigentlich nehmen? Wenn die mathematischen Berechnungen besagen, dass das Fassungsvermögen des Informationsspeichers eines Schwarzen Lochs sich an seiner Oberfläche bemisst, illustriert dies nur eine zugrunde liegende Berechnung, oder heißt es, dass die Oberfläche des Schwarzen Lochs tatsächlich der Ort ist, an dem die Information gespeichert wird?
Das ist eine weitreichende Frage, mit der sich einige der angesehensten Physiker über Jahrzehnte beschäftigt haben. ad Die Antwort hängt entscheidend davon ab, ob man das Schwarze Loch von außen oder von innen betrachtet – und bei Betrachtung von außen bestehen tatsächlich stichhaltige Gründe für die Annahme, dass die Information in der Tat am Ereignishorizont gespeichert wird.
Wer mit den genaueren Einzelheiten der Allgemeinen Relativitätstheorie und ihrer Beschreibung Schwarzer Löcher vertraut ist, für den ist dies eine ausgesprochen seltsame Behauptung. Die Allgemeine Relativitätstheorie besagt: Wenn wir durch den Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs stürzen, treffen wir auf nichts – keine materielle Oberfläche, keine Grenzpfosten, keine blinkenden Lichter –, nichts was die Grenze des Bereiches ohne Wiederkehr irgendwie
kennzeichnen würde. Diese Schlussfolgerung ergibt sich aus einer von Einsteins einfachsten, aber
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