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Die verborgene Wirklichkeit

Die verborgene Wirklichkeit

Titel: Die verborgene Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Greene
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entscheidendsten Erkenntnissen. Wie ihm klar wurde, wird eine Person (oder ein Gegenstand), der sich im freien Fall befindet, schwerelos; wenn wir mit einer an die Füße gebundenen Waage von einem hohen Sprungbrett springen, sinkt deren Anzeige auf null. Wenn wir uns vollständig auf die Gravitation einlassen, heben wir sie auf. An dieser Stelle vollzog Einstein sofort einen Gedankensprung. Von den Erfahrungen in unserer unmittelbaren Umgebung ist es nicht mehr weit zu der Unterscheidung zwischen dem freien Fall in Richtung eines massereichen Objekts und dem schwerelosen Schweben in den Tiefen des Weltraums; in beiden Fällen sind wir völlig gewichtslos. Wenn wir natürlich über unsere unmittelbare Umgebung hinausblicken und beispielsweise sehen, wie die Erdoberfläche schnell näher kommt, ist das ein guter Hinweis darauf, dass wir jetzt die Reißleine unseres Fallschirms ziehen sollten. Wären wir aber in eine kleine, fensterlose Kapsel eingeschlossen, könnten wir zwischen den Erfahrungen des freien Falls und des freien Schwebens nicht unterscheiden. 9
    Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts griff Einstein diese einfache, aber grundlegende Verbindung zwischen Bewegung und Schwerkraft auf; in zehnjähriger Arbeit entwickelte er sie zu seiner Allgemeinen Relativitätstheorie weiter. Wir wenden sie hier auf bescheidenere Weise an. Angenommen, wir sitzen in der erwähnten Kapsel und befinden uns im freien Fall nicht zur Erde, sondern in Richtung eines Schwarzen Lochs. Dann ist der genannten Argumentation zufolge sichergestellt, dass unser Erlebnis genau das Gleiche ist, als würden wir im leeren Raum schweben. Das bedeutet, dass nichts Besonderes oder Ungewöhnliches geschieht, wenn wir im freien Fall den Ereignishorizont des Schwarzen Lochs durchqueren. Treffen wir schließlich auf sein Zentrum, befinden wir uns allerdings nicht mehr im freien Fall; dieses Erlebnis wird sich sicher bemerkbar machen, und zwar auf spektakuläre Weise. Aber bis es so weit ist, könnten wir genauso gut ziellos in den schwarzen Tiefen des Weltraums treiben.
    Diese Erkenntnis macht die Entropie des Schwarzen Lochs nur umso rätselhafter. Wenn wir beim Durchqueren des Ereignishorizonts nichts vorfinden, was das Schwarze Loch vom leeren Raum unterscheidet, wie kann dort überhaupt Information gespeichert sein?
    In einer Antwort, die in den letzten zehn Jahren an Zugkraft gewonnen hat, findet sich ein Anklang an das Thema der Dualität, das uns in vorangegangenen Kapiteln bereits begegnet ist. Erinnern wir uns: Als Dualität bezeichnet man eine Situation, in der einander ergänzende Sichtweisen völlig verschieden zu sein scheinen, während sie gleichzeitig über einen gemeinsamen physikalischen Anker eng verknüpft sind. Eine gute visuelle Metapher ist das Albert-Marilyn-Bild
in Abbildung 5.2 ; mathematische Beispiele sind die »Spiegelbilder« bestimmter Versionen zusätzlicher Dimensionen in der Stringtheorie (Kapitel 4) und die auf den ersten Blick verschiedenen, aber über Dualitäten verbundenen Stringtheorien (Kapitel 5). In den letzten Jahren sind Wissenschaftler unter Leitung von Susskind zu der Erkenntnis gelangt, dass Schwarze Löcher einen weiteren Zusammenhang darstellen, in dem einander ergänzende, aber ganz unterschiedliche Sichtweisen grundlegende Erkenntnisse liefern.
    Eine entscheidende Sichtweise ist die unsere, wenn wir uns im freien Fall in Richtung auf ein Schwarzes Loch befinden. Eine andere ist die eines weit entfernten Beobachters, der unsere Reise mit einem leistungsfähigen Teleskop verfolgt. Das Bemerkenswerte dabei: Wenn wir, ohne etwas zu merken, den Ereignishorizont des Schwarzen Lochs durchqueren, nimmt der entfernte Beobachter etwas ganz anderes wahr. Die Diskrepanz hat mit der Hawking-Strahlung des Schwarzen Lochs zu tun. ae Wenn der entfernte Beobachter die Temperatur der Hawking-Strahlung misst, ergibt sich ein winzig kleiner Wert, beispielsweise 10 – 13 K, ein Hinweis, dass das Schwarze Loch ungefähr so groß ist wie das im Mittelpunkt unserer Galaxis. Der entfernte Beobachter weiß aber, dass die Strahlung nur deshalb so kalt ist, weil die Photonen, die von außerhalb des Horizonts stammen, einen Großteil ihrer Energie im heftigen Kampf gegen die Gravitationsanziehung des Schwarzen Lochs verloren haben; nach meiner zuvor gegebenen Beschreibung sind die Photonen »müde«. Demnach, so die Schlussfolgerung des Beobachters, begegnen uns auf unserem Weg in die Nähe des Horizonts immer frischere

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