Die verborgene Wirklichkeit
darf man nicht vergessen, dass die Randflächentheorie kein vollständiges Abbild unseres Universums darstellt; unter anderem enthält sie nämlich keine Gravitationskraft. Dennoch lässt sie sich mit den RHIC-Befunden in Verbindung bringen, denn in diesen Experimenten ist die Masse der Teilchen (selbst dann, wenn sie sich nahezu mit Lichtgeschwindigkeit bewegen) so klein, dass die Gravitationskraft praktisch keine Rolle spielt. Die Abwesenheit der Gravitation macht aber deutlich, dass die Stringtheorie in dieser Anwendung nicht als »Weltformel« dient, die alles erklärt; sie stellt vielmehr ein neuartiges Rechenwerkzeug dar, mit dem man bestimmte Hindernisse überwinden kann, die dem Weiterkommen mit traditionelleren Methoden im Wege standen. Vorsichtig formuliert, kann man die Analyse von Quarks und Gluonen mit einer höherdimensionalen Stringtheorie als leistungsfähigen, auf Strings basierenden mathematischen Kunstgriff bezeichnen. Wagt man sich weiter vor, kann man sich indes auch vorstellen, dass die höherdimensionale stringtheoretische Beschreibung auf eine bisher noch nicht geklärte Weise physikalische Wirklichkeit ist.
Ob man es nun so oder so sieht – es ist äußerst beeindruckend, wie hier mathematische Ergebnisse mit experimentellen Beobachtungen zusammenfließen. Ich bin kein Freund von Übertreibungen, aber diese Entwicklung halte ich für einen der spannendsten Fortschritte seit Jahrzehnten. Mathematischen Manipulationen unter Verwendung von Strings, die sich durch eine ganz bestimmte, zehndimensionale Raumzeit bewegen, lässt sich etwas über Quarks und Gluonen in einer vierdimensionalen Raumzeit entnehmen – und dieses »etwas« aus den Berechnungen scheint durch Experimente bestätigt zu werden.
Coda: Die Zukunft der Stringtheorie
Die wissenschaftlichen Entwicklungen, die wir in diesem Kapitel kennengelernt haben, gehen weit über Bewertungen der Stringtheorie hinaus. Von Wheelers Begeisterung für eine Analyse des Universums unter dem Gesichtspunkt der Information über die Erkenntnis, dass Entropie ein Maß für verborgene Information ist, die Versöhnung des Zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik mit Schwarzen Löchern und die Erkenntnis, dass Schwarze Löcher auf ihrer Oberfläche Entropie speichern, bis hin zu der Einsicht, dass Schwarze Löcher ein Maximum für die Informationsmenge vorgeben, die in einer bestimmten Raumregion vorhanden sein kann, haben wir einen gewundenen Weg durch viele Jahrzehnte und ein vielschichtiges Geflecht von Befunden hinter uns gebracht. Es war eine bemerkenswerte Reise, und sie hat uns zu einem neuen, vereinheitlichenden Gedanken geführt: dem holographischen Prinzip. Wie wir erfahren haben, legt dieses Prinzip nahe, dass die Phänomene, deren Zeugen wir sind, auf einer dünnen, weit entfernten Randfläche widergespiegelt werden. Wenn ich in die Zukunft blicken soll, dann würde ich vermuten, dass das holographische Prinzip für die Physiker bis weit ins 21. Jahrhundert hinein ein wichtiger Orientierungspunkt sein wird.
Die Stringtheorie beinhaltet das holographische Prinzip und liefert konkrete Beispiele für holographische Parallelwelten; das ist ein Beleg dafür, welche hochaktuellen Entwicklungen hier in einer leistungsfähigen Synthese zusammenfließen. Dass diese Beispiele zur Grundlage für genauere Berechnungen wurden, deren Ergebnisse man in manchen Fällen mit den Beobachtungen aus realen Experimenten vergleichen kann, ist ein dankenswerter Schritt in Richtung Kontakt zur beobachtbaren Wirklichkeit. In der Stringtheorie selbst gibt es allerdings einen größeren Rahmen, in den man diese Entwicklungen stellen sollte.
Nach der ursprünglichen Entdeckung der Stringtheorie fehlte es den Physikern fast dreißig Jahre lang an einer vollständigen mathematischen Definition der Theorie. Die ersten Stringtheoretiker formulierten zwar die entscheidenden Ideen über schwingende Strings und zusätzliche Dimensionen, die mathematischen Grundlagen der Theorie blieben jedoch trotz jahrzehntelanger Forschung Näherungslösungen und damit zwangsläufig unvollständig. Maldacenas Erkenntnis stellt auch hier einen wichtigen Fortschritt dar. Die Sorte Quantenfeldtheorie, die nach Maldacenas Erkenntnissen auf der Randfläche angesiedelt ist, gehört unter denen, die seit Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts von den Teilchenphysikern untersucht wurden, zu den mathematisch am besten erforschten. Dass die Gravitation in dieser Theorie außen vor bleibt, ist ein
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