Die verborgene Wirklichkeit
Können wir mit dem gleichen Gefühl, absichtlich und kontrolliert zu handeln, das wir bei der Auswahl eines Kinofilms oder einer Mahlzeit empfinden, ein Universum erschaffen?
Das hört sich nach einer weit hergeholten Frage an. Sie ist es auch. Schon jetzt möchte ich andeuten, dass wir uns bei der Beschäftigung mit dem Thema auf ein Gebiet begeben, das noch spekulativer ist als die bereits erörterten Inhalte, und angesichts der Themen, die wir bereits behandelt haben, will das schon etwas heißen. Aber gönnen wir uns den Spaß und schauen wir einmal, wie weit wir kommen. Zunächst möchte ich deutlich machen, welchen Standpunkt
ich einnehme. Wenn ich über die Erschaffung von Universen nachdenke, interessieren mich weniger die praktischen Beschränkungen als vielmehr die Frage, welche Möglichkeiten sich aufgrund der physikalischen Gesetze ergeben. Wenn ich also davon spreche, dass »wir« ein Universum erschaffen, meine ich damit entweder wirklich uns, unsere entfernten Nachkommen oder eine ganze Armee solcher Nachkommen, die vielleicht erst in Jahrtausenden lebt. Diese heutigen oder zukünftigen Menschen werden ebenfalls den Gesetzen der Physik unterliegen, ich stelle mir jedoch vor, dass sie über eine beliebig weit fortgeschrittene Technologie verfügen. Außerdem werde ich die Erschaffung zweier Arten von Universen betrachten. Zum ersten Typ gehören die üblichen Universen, die eine räumliche Weite einnehmen und mit verschiedenen Formen von Materie und Energie angefüllt sind. Der zweite Typ ist weniger greifbar: virtuelle, im Computer erzeugte Universen. Aus der Diskussion wird sich ganz von selbst eine dritte Multiversums-Theorie ergeben. Diese Variante hat ihren Ursprung nicht in Gedanken über die Erschaffung von Universen als solchen, sondern dreht sich um die Frage, ob Mathematik »wirklich« oder ein Produkt des menschlichen Geistes ist.
Ein Universum erschaffen
Trotz aller Unsicherheiten bei der Beschreibung der Zusammensetzung des Universums – was ist Dunkle Energie, wie lautet die vollständige Liste der grundlegenden teilchenförmigen Bestandteile? – sind die Wissenschaftler sich in einem Punkt sicher: Wenn wir alles wiegen würden, was sich innerhalb unseres kosmischen Horizonts befindet, läge das Ergebnis bei ungefähr zehn Milliarden Milliarden Milliarden Milliarden Milliarden Milliarden Gramm. Würde der Inhalt deutlich mehr oder weniger wiegen, hätte der Einfluss seiner Gravitation auf die kosmische Hintergrundstrahlung zur Folge, dass die Flecken in Abbildung 3.4 viel größer oder kleiner wären, und das würde mit den hochpräzisen Messungen der tatsächlichen Größenverteilung der Flecken in Konflikt geraten. Aber das genaue Gewicht des beobachtbaren Universums ist zweitrangig; mir geht es nur darum, dass es riesig ist. Es ist so riesig, dass die Vorstellung, wir Menschen könnten einen weiteren derartigen Bereich erschaffen, völlig irrwitzig erscheint.
Wenn wir die Urknallmodelle als Rezept zur Erschaffung eines Universums betrachten, finden wir keinen Anhaltspunkt dafür, wie wir diese Hürde überwinden könnten. In den herkömmlichen Urknallmodellen war das beobachtbare Universum zwar zu immer früheren Zeitpunkten immer kleiner, die ungeheuren Mengen von Materie und Energie, die wir heute messen, waren jedoch stets
vorhanden; sie waren nur in einem immer kleineren Volumen zusammengepresst. Wer ein Universum will, wie wir es heute sehen, muss von Rohstoffen ausgehen, deren Masse und Energie ebenfalls den heute beobachteten entsprechen. Die Urknalltheorie geht schlicht davon aus, dass dieses Rohmaterial vorhanden ist, ohne dafür eine Erklärung anzubieten. 1
Grob gesagt, setzt das Urknall-Rezept zur Erschaffung eines Universums wie des unseren also voraus, dass wir eine ungeheuer große Materiemenge auf ein ungeheuer kleines Volumen zusammenpressen. Aber selbst wenn uns das gelingen sollte, so unwahrscheinlich das auch ist, stünden wir vor einer weiteren Herausforderung. Wie zünden wir den großen Knall? Als weitere Schwierigkeit kommt hinzu, dass der Urknall keine Explosion ist, die sich innerhalb einer unveränderlichen Raumregion ereignet; der Urknall bringt vielmehr den Raum selbst dazu, zu expandieren.
Wäre mit den Urknallmodellen das letzte Wort des kosmologischen Denkens gesprochen, wären wir wissenschaftlich hier mit der Erschaffung eines Universums am Ende. Doch dem ist nicht so. Wie wir bereits wissen, haben die Urknall- den besser begründeten
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