Die verborgene Wirklichkeit
aufschlussreicher, grundlegender Erkenntnisse über die Wirklichkeit, und zwar jene am Fuße des Baumes –, untergraben wird.
Das ist zwar ein unangenehmer Gedanke, aber er bringt mich nachts nicht um meinen Schlaf. Solange niemand mir den Atem raubt, indem er mir tatsächlich eine Simulation bewusster Wesen vorführt, ziehe ich den Gedanken, dass ich mich selbst in einer solchen Simulation befinde, nicht ernsthaft in Betracht. Und langfristig gesehen, kann ich mir selbst dann, wenn Simulationen bewusster Wesen eines Tages möglich sein sollten – ein wahrhaft großes Wenn –, sehr gut vorstellen, dass solche Simulationen in dem Augenblick, in dem eine Zivilisation aufgrund ihrer technischen Fähigkeiten erstmals dazu in der Lage ist, einen ungeheuren Reiz ausüben. Doch wie lange würde dieser Reiz Bestand haben? Nach meiner Vermutung würde der Neuigkeitswert künstlicher Welten, deren Bewohner sich nicht der Tatsache bewusst sind, dass sie sich in einer Simulation befinden, schnell abnutzen; es gibt schon genug Reality-TV.
Wenn ich meiner Fantasie auf diesem spekulativen Gebiet freien Lauf lasse, habe ich einen anderen Eindruck: Dauerhafte Attraktivität dürfte vor allem von Anwendungen ausgehen, in denen sich Interaktionen zwischen der simulierten und der wirklichen Welt entwickeln. Vielleicht könnten simulierte Bewohner in die reale Welt einwandern, oder die Bewohner der wirklichen Welt könnten sich in die simulierte Welt begeben. Dann könnte die Unterscheidung zwischen realen und simulierten Wesen im Laufe der Zeit zu einem Anachronismus werden. Solche bruchlosen Vereinigungen scheinen mir ein wahrscheinlicheres Ergebnis zu sein. In diesem Fall würde das simulierte Multiversum zur Weite der Realität – unserer Weite der Wirklichkeit, unserer echten Realität – auf ganz handfeste Weise beitragen. Sie würde zu einem unverzichtbaren Teil dessen werden, was wir unter »Wirklichkeit« verstehen.
KAPITEL 11
Die Grenzen der Forschung: Multiversen und die Zukunft
Isaac Newton eröffnete der Wissenschaft ganz neue Perspektiven. Er entdeckte, dass man mit wenigen mathematischen Gleichungen beschreiben kann, wie die Dinge sich sowohl hier auf der Erde als auch draußen im Weltraum bewegen. Angesichts derart leistungsfähiger, einfacher Befunde hätte man sich leicht vorstellen können, dass Newtons Gleichungen ewige Wahrheiten widerspiegeln, die in den Urgrund des Kosmos eingeprägt sind. Newton selbst glaubte das nicht. Er hielt das Universum für viel reichhaltiger und rätselhafter, als seine Gesetze nahelegten; in späteren Jahren äußerte er seine berühmten Worte: »Ich weiß nicht, wie ich der Welt erscheinen mag, aber mir selbst komme ich nur wie ein Junge vor, der an der Meeresküste spielt und sich hier und da daran erfreut, einen glatteren Kiesel oder eine hübschere Muschelschale als gewöhnlich zu finden, während der große Ozean der Wahrheit noch unentdeckt vor ihm liegt.« Diese Einschätzung hat sich in den seither verstrichenen Jahrhunderten mehr als bestätigt.
Darüber bin ich froh. Hätten Newtons Gleichungen einen unbegrenzten Geltungsbereich, würden sie als Phänomene in jedem Zusammenhang – ob groß oder klein, schwer oder leicht, schnell oder langsam – beschreiben, dann hätte die nachfolgende wissenschaftliche Odyssee ganz anders ausgesehen. Aus Newtons Gleichungen können wir viel über die Welt lernen, aber ihre unbegrenzte Gültigkeit hätte bedeutet, dass der Kosmos vergleichsweise langweilig aufgebaut wäre. Hätte man erst die Physik im Maßstab unserer Alltagserfahrung verstanden, wäre das Ende der Fahnenstange erreicht gewesen. Von ganz oben bis ganz unten, überall die gleichen Gesetze.
Als andere Wissenschaftler Newtons Untersuchungen fortsetzten, wagten sie sich stattdessen in Regionen vor, die den Geltungsbereich seiner Gleichungen weit hinter sich lassen. Was wir dabei gelernt haben, zog weitreichende Veränderungen dessen nach sich, wie wir das Wesen der Wirklichkeit begreifen. Solche Veränderungen nimmt man nicht leichtfertig vor. Sie werden wissenschaftlich streng überprüft und stoßen häufig auf erbitterten Widerstand; erst wenn
hinreichend viele Belege überzeugend für die neue Sichtweise sprechen, setzt sie sich durch. Genau so sollte es auch sein. Es besteht keine Notwendigkeit, Urteile zu überstürzen. Die Wirklichkeit läuft uns nicht weg.
Insbesondere eine zentrale Tatsache wurde durch die theoretischen und experimentellen
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