Die verborgene Wirklichkeit
Multiversum
Dem Fruchtbarkeitsprinzip zufolge ist jedes mögliche Universum auch ein reales Universum. Damit entfällt die Frage, warum ein Universum – nämlich unseres – etwas Besonderes sein soll. Diese Universen verkörpern alle möglichen mathematischen Gleichungen.
Tabelle 11.1 Die verschiedenen Versionen von Paralleluniversen in zusammenfassender Darstellung.
Mit dem Buch, das Sie gerade lesen, verhält es sich ebenso wie mit dem metaphorischen Buch der Natur. In diesem letzten Kapitel würde ich sehr gern alle Teile zusammenfügen und die entscheidende Frage zu unserem Thema
beantworten: Universum oder Multiversum? Aber ich kann es nicht. Das liegt in der Natur von Untersuchungen, die sich an den Grenzen des Wissens bewegen. Um uns einen Eindruck davon zu verschaffen, in welcher Richtung es mit dem Multiversums-Konzept weitergehen könnte, und um die entscheidenden Punkte beim derzeitigen Stand der Dinge noch einmal hervorzuheben, möchte ich stattdessen fünf zentrale Fragen formulieren, mit denen sich die Physiker in den vor uns liegenden Jahren weiterhin herumschlagen werden.
Ist das kopernikanische Prinzip grundsätzlicher Natur?
Regelmäßigkeiten und Muster, die durch Beobachtungen wie auch in der Mathematik deutlich werden, sind eine unentbehrliche Voraussetzung für die Formulierung physikalischer Gesetze. Aufschlussreich sind aber auch Muster, die zeigen, welche Arten physikalischer Gesetze von Generation zu Generation anerkannt wurden. Solche Muster machen deutlich, wie wissenschaftliche Entdeckungen die Sicht der Menschen auf ihren Platz in der kosmischen Ordnung verändert haben. Im Laufe von fast fünf Jahrhunderten war der kopernikanische Fortschritt das beherrschende Thema. Vom Auf- und Untergang der Sonne über die Bewegung der Sternbilder am Nachthimmel bis zu der führenden Rolle, die wir in der Innenwelt unseres Geistes spielen, bietet die Erfahrung eine Fülle von Anhaltspunkten, wonach wir der Dreh- und Angelpunkt sind, um den der Kosmos kreist. Diese Sichtweise wurde jedoch durch die objektiven Methoden der naturwissenschaftlichen Forschung stetig korrigiert. An fast jeder Ecke haben wir festgestellt, dass die kosmische Ordnung kaum anders aussähe, wenn es uns nicht gäbe. Zunächst mussten wir unseren Glauben an die zentrale Stellung der Erde unter unseren kosmischen Nachbarn aufgeben, dann den Glauben an die zentrale Stellung der Sonne in der Galaxis, an die zentrale Stellung der Milchstraße unter den Galaxien und sogar an die zentrale Stellung von Protonen, Neutronen und Elektronen – des Stoffs, aus dem wir gemacht sind – im kosmischen Rezept. Es gab einmal eine Zeit, da galten Belege, die gegen die uralte kollektive Illusion einer Sonderstellung sprachen, als Frontalangriff auf den Wert des Menschen. Mit etwas Übung haben wir eine aufgeklärtere Sicht der Dinge schätzen gelernt.
In diesem Buch hat uns unser Weg zur vielleicht letzten kopernikanischen Korrektur geführt. Auch unser Universum nimmt möglicherweise in der kosmischen Ordnung keine zentrale Stellung ein. Ganz ähnlich wie unser Planet, unser Stern und unsere Galaxis, so könnte auch unser Universum nur eines unter sehr
vielen sein. Der Gedanke, dass eine auf einem Multiversum basierende Wirklichkeit die kopernikanische Gesetzmäßigkeit erweitert und vielleicht vollendet, ist Anlass zur Neugier. Eine entscheidende Tatsache jedoch, die uns jetzt mehrfach begegnet ist, hebt die Vorstellung von einem Multiversum über den Bereich der müßigen Spekulation hinaus. Es ist nicht so, dass die Wissenschaftler sich auf die Suche begeben hätten, um Wege zur Fortführung der kopernikanischen Revolution zu finden. Sie haben nicht in abgedunkelten Labors klammheimlich Möglichkeiten ausgetüftelt, wie sich das kopernikanische Prinzip vollenden ließe. Stattdessen haben die Wissenschaftler getan, was Wissenschaftler immer tun: Sie haben sich an Daten und Beobachtungen orientiert und mathematische Theorien formuliert, mit denen sie die Grundbestandteile der Materie sowie die Kräfte, die über Verhalten, Wechselbeziehungen und Entwicklung dieser Bestandteile bestimmen, beschreiben können. Und interessanterweise sind sie durch sorgfältiges Ausloten der neuen Wege, die diese Theorien beschreiten, geradewegs auf ein potenzielles Multiversum nach dem anderen gestoßen. Man braucht nur eine der vielen »Hauptverkehrsstraßen« einzuschlagen, die die Wissenschaft benutzt, und dazu einigermaßen aufmerksam zu sein, um
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