Die verborgene Wirklichkeit
schließlich die meisten Universen eines Multiversums andere Eigenschaften als das unsere, können wir ein weiteres diagnostisches Hilfsmittel ins Spiel bringen: Anthropischen Überlegungen folgend, können wir unsere Betrachtungen auf diejenigen Universen des Multiversums beschränken, die unsere Form von Leben begünstigen. Hat die große Mehrzahl der Universen in dieser Untergruppe Eigenschaften, die mit denen bei uns übereinstimmen – ist also unser Universum für diejenigen, in denen wir aufgrund der Umweltbedingungen überhaupt nur leben können, typisch –, würde das Vertrauen zum Multiversum wiederum wachsen. Sind wir dagegen untypisch, können wir die Theorie zwar nicht ausschließen, aber das ist eine altbekannte Beschränkung statistischer Überlegungen. Unwahrscheinliche Ergebnisse stellen sich manchmal ein. Doch je weniger typisch wir sind, desto weniger überzeugend wäre die jeweilige Multiversums-Theorie. Wäre unser Universum allerdings unter allen lebensfreundlichen Universen eines Multiversums ein extremer Außenseiter, wäre dies ein starkes Argument für Skepsis gegenüber der betreffenden Multiversums-Theorie.
Wollen wir eine Multiversums-Theorie quantitativ analysieren, müssen wir also etwas über die Demographie der Universen herausfinden, die es bevölkern. Zu wissen, welche möglichen Universen die Multiversums-Theorie zulässt, reicht dabei nicht; wir müssen auch bestimmen, welche Eigenschaften die tatsächlichen Universen, die von der Theorie hervorgebracht werden, im Einzelnen besitzen. Das erfordert Kenntnisse über die kosmologischen Prozesse, die verschiedenen Universen einer Multiversums-Theorie ins Dasein verhelfen. Aus der Art und Weise, wie die physikalischen Eigenschaften im Multiversum von einem Universum zum anderen variieren, lassen sich dann überprüfbare Vorhersagen ableiten.
Ob eine solche Abfolge von Überprüfungen eindeutige Ergebnisse erbringt, können wir nur für jedes Multiversum einzeln einschätzen. Die Schlussfolgerung lautet aber: Theorien, in denen andere Universen vorkommen – Bereiche, zu denen wir keinen Zugang haben und vielleicht nie Zugang haben werden –, können dennoch überprüfbare und damit falsifizierbare Vorhersagen liefern.
Können wir die Multiversums-Theorien, die wir hier kennengelernt haben, überprüfen?
Für die theoretische Forschung ist physikalische Intuition unentbehrlich. Theoretische Physiker müssen sich unter einer verwirrenden Vielzahl von Möglichkeiten zurechtfinden. Soll ich diese oder jene Gleichung ausprobieren, diese oder jene Gesetzmäßigkeit zugrunde legen? Die besten Physiker verfügen über messerscharfe, überaus treffsichere Ahnungen oder Bauchgefühle in der Frage, welche Richtungen vielversprechend sind und welche sich wahrscheinlich als fruchtlos erweisen werden. Aber das alles spielt sich hinter den Kulissen ab. Werden wissenschaftliche Theorien schließlich vorgebracht, beurteilt man sie nicht aufgrund von Ahnungen oder Bauchgefühlen. Dann zählt nur ein Maßstab: Ist eine Theorie in der Lage, experimentelle Daten und astronomische Beobachtungen zu erklären oder vorherzusagen?
Darin liegt die einzigartige Schönheit der Naturwissenschaft. Während wir uns darum bemühen, immer tiefer liegende Gesetzmäßigkeiten unseres Untersuchungsgegenstandes zu erschließen, müssen wir auch unserer kreativen Fantasie viel Spielraum lassen. Wir müssen bereit sein, uns außerhalb der überkommenen Ideen und anerkannten Gedankengebäude zu stellen. Aber im Gegensatz zu den vielen anderen Tätigkeiten, bei denen Menschen ihre kreativen Impulse ausleben, bietet die Wissenschaft eine Möglichkeit, am Ende abzurechnen – durch belastbare Kriterien, was richtig ist und was nicht.
Das ist seit dem ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert allerdings schwieriger geworden, weil unsere theoretischen Vorstellungen nun mitunter weit über das hinausgehen, was man prüfen oder beobachten kann. War zunächst die Stringtheorie das Paradebeispiel dafür, ist die Möglichkeit, dass wir zu einem Multiversum gehören, ein noch eindrucksvollerer Fall. Ich habe ein allgemeines Rezept dafür erläutert, wie man spezifische Multiversums-Vorschläge im Prinzip überprüfen könnte, aber bei unserem derzeitigen Kenntnisstand erfüllt keine der Multiversums-Theorien, die wir kennengelernt haben, die Kriterien. Diese Situation könnte sich mit neuen Forschungsarbeiten allerdings deutlich verbessern.
Unsere Untersuchungen zum
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