Die verborgene Wirklichkeit
untersuchten, lange bevor man ihre große Bedeutung für die Stringtheorie entdeckte ( Abbildung 4.6 ). Das Problem besteht darin, dass es nicht nur einen einzigen, einzigartigen Calabi-Yau-Raum gibt, sondern dass diese Räume wie Musikinstrumente in vielfältigen Größen und Formen existieren. Und so wie verschiedene Instrumente unterschiedliche Töne hervorbringen, so erzeugen auch zusätzliche Dimensionen mit unterschiedlichen Formen und Größen (sowie mit Unterschieden in bestimmten Merkmalen, auf die wir im nächsten Kapitel zu sprechen kommen werden) unterschiedliche String-Schwingungsmuster und damit unterschiedliche Gruppen von Teilcheneigenschaften. Dass es derzeit keine Möglichkeit gibt, die Eigenschaften der zusätzlichen Dimensionen eindeutig festzulegen, ist daher der wichtigste Umstand, der die Stringtheoretiker daran hindert, konkrete Vorhersagen zu den Teilcheneigenschaften zu treffen .
Abbildung 4.6 Nahaufnahme der Struktur des Raums in der Stringtheorie. Zu sehen ist ein Beispiel für zusätzliche Dimensionen, die als Calabi-Yau-Raum zusammengerollt sind. Wie der Flor am Grundgewebe eines Teppichs, so ist auch der Calabi-Yau-Raum an alle Punkte der vertrauten, großen drei Raumdimensionen angeheftet (die hier als zweidimensionales Gitter dargestellt sind); aus Gründen der Übersichtlichkeit sind erneut nur die Calabi-Yau-Räume an den Kreuzungspunkten des Gitters dargestellt.
Als ich mich Mitte der achtziger Jahre erstmals mit der Stringtheorie beschäftigte, kannte man nur eine Handvoll verschiedener Calabi-Yau-Räume, und man konnte sich vorstellen, jeden Einzelnen zu erkunden, um nach Übereinstimmungen mit bekannten physikalischen Eigenschaften zu suchen. Meine Doktorarbeit stellte einen der ersten Schritte in dieser Richtung dar. Als ich einige Jahre später als Postdoc bei Herrn Yau aus dem Paar Calabi-Yau arbeitete, war die Zahl der Calabi-Yau-Räume bereits auf einige tausend angewachsen, was für eine umfassende Analyse eine größere Herausforderung darstellte – aber für so etwas sind wissenschaftliche Assistenten schließlich da. Im Laufe der Zeit wurden die Listen des Calabi-Yau-Katalogs immer länger; wie wir in Kapitel 5 genauer erfahren werden, ist ihre Zahl heute größer als die der Sandkörner an einem Strand. An allen Stränden. Überall. Um ein Vielfaches. Jede der unzähligen Möglichkeiten für das Aufrollen der zusätzlichen Dimensionen mathematisch einzeln zu analysieren, kommt nicht mehr infrage. Deshalb suchen die Stringtheoretiker heute in der Theorie nach allgemeineren mathematischen Kriterien, die einen bestimmten Calabi-Yau-Raum als »den richtigen« kennzeichnet. Bisher hat aber noch niemand solche Kriterien gefunden.
Wenn es also darum geht, die Eigenschaften der Elementarteilchen zu erklären, hat die Stringtheorie ihre Versprechen noch nicht eingelöst. In dieser Hinsicht stellt sie bisher keine Verbesserung gegenüber der herkömmlichen Quantenfeldtheorie dar. 13
Dabei darf man aber nicht vergessen, dass der Anspruch der Stringtheorie auf besonderen Ruhm in ihrer Fähigkeit liegt, das zentrale Dilemma in der theoretischen Physik des zwanzigsten Jahrhunderts zu lösen: die drastische Unvereinbarkeit von Allgemeiner Relativitätstheorie und Quantenmechanik. Innerhalb der Stringtheorie finden beide endlich harmonisch zusammen. An dieser Stelle bedeutet die Stringtheorie also einen entscheidenden Vorteil: Sie hilft uns über ein entscheidendes Hindernis hinweg, das die Standardmethoden der Quantenfeldtheorie zuvor durcheinandergebracht hatte. Sollten wir eines Tages mit besseren Kenntnissen über die Mathematik der Stringtheorie in der Lage sein, uns auf eine eindeutig definierte Form der zusätzlichen Dimensionen festzulegen, mit deren Hilfe sich außerdem alle beobachteten Teilcheneigenschaften erklären lassen, wäre das ein ungeheurer Triumph. Es gibt aber keine Garantie, dass die Stringtheorie dieser Herausforderung gerecht wird. Dazu besteht auch keine Notwendigkeit. Die Quantenfeldtheorie wurde zu Recht als ungeheuer erfolgreich gepriesen, und doch kann sie die grundlegenden Teilcheneigenschaften nicht erklären.
Wenn die Stringtheorie dazu ebenfalls nicht in der Lage ist, in einer wichtigen Hinsicht aber über die Quantenfeldtheorie hinausgeht, weil sie auch die Gravitation einschließt, wäre bereits das eine gewaltige Errungenschaft.
Wie wir in Kapitel 6 genauer erfahren werden, ist es in einem Kosmos voller Parallelwelten – der einer
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