Die verborgene Wirklichkeit
Im Rest dieses Kapitels möchte ich einen Überblick über die am weitesten fortgeschrittenen Kenntnisse in mehreren entscheidenden Bereichen geben (wobei ich mir diejenigen, die für das Thema der Paralleluniversen von Bedeutung sind, für eine eingehendere Erörterung in späteren Kapiteln aufhebe). Außerdem möchte ich die bisherigen Leistungen bewerten und eine Einschätzung der noch vor uns liegenden Herausforderungen abgeben.
Stringtheorie und die Eigenschaften der Elementarteilchen
Eine der tiefgründigsten Fragen der gesamten Physik lautet: Warum haben die Elementarteilchen die Eigenschaften, die sie besitzen? Warum hat beispielsweise das Elektron eine bestimmte Masse und das Up-Quark eine bestimmte elektrische Ladung? Diese Frage verdient nicht nur Aufmerksamkeit, weil sie für sich betrachtet von Interesse ist, sondern auch wegen einer faszinierenden Tatsache, von der zuvor bereits die Rede war. Wären die Teilcheneigenschaften anders –
wäre beispielsweise ein Elektron ein wenig schwerer oder leichter oder wäre die elektrische Abstoßung zwischen Elektronen stärker oder schwächer –, dann könnten die Kernreaktionen, die Sterne wie unsere Sonne antreiben, nicht ablaufen. Ohne Sterne sähe das Universum ganz anders aus. 11 Und zugespitzt gesagt: Ohne Wärme und Licht von der Sonne hätte auch die lange Kette von Ereignissen, die schließlich zur Entwicklung von Leben auf der Erde geführt hat, nie stattgefunden.
Damit sind wir bei einer bedeutenden Herausforderung: Berechne mit Bleistift, Papier und möglicherweise einem Computer sowie anhand all dessen, was wir über die physikalischen Gesetze wissen, die Eigenschaften der Elementarteilchen und finde Ergebnisse, die mit den gemessenen Werten übereinstimmen. Wenn wir diese Aufgabe lösen, haben wir einen der größten Schritte aller Zeiten zur Beantwortung der Frage getan, warum das Universum so ist, wie es ist.
Im Rahmen der herkömmlichen Quantenfeldtheorie lässt sich die Herausforderung nicht meistern. Und zwar niemals. Denn die Quantenfeldtheorie setzt die gemessenen Teilcheneigenschaften als Input voraus – diese Eigenschaften gehören zur Definition der Theorie – und kann deshalb ein breites Spektrum verschiedener Werte für Masse und Ladung der Teilchen berücksichtigen. 12 Mit einer hypothetischen Welt, in der Masse oder Ladung des Elektrons größer oder kleiner wären als in unserer, würde die Quantenfeldtheorie mühelos fertig; man müsste in den Gleichungen nur den Wert eines Parameters anpassen.
Kann die Stringtheorie es besser?
Die Stringtheorie hat einen besonders schönen Aspekt, der auch mich am stärksten beeindruckte, als ich zum ersten Mal mit ihr Bekanntschaft machte: Die Eigenschaften der Teilchen werden durch Größe und Form der zusätzlichen Dimensionen bestimmt . Da Strings so winzig sind, schwingen sie nicht nur in den drei großen Dimensionen unserer Alltagserfahrungen, sondern auch in den kleinen, aufgerollten Dimensionen. Und ähnlich wie bei einem Blasinstrument, dessen geometrische Form das Schwingungsmuster der hindurchströmenden Luft prägt, so hängen auch die Schwingungsmuster der Strings in der Stringtheorie von der geometrischen Form der aufgerollten Dimensionen ab. Wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass die Schwingungsmuster der Strings über Teilcheneigenschaften wie Masse und elektrische Ladung bestimmen, so erkennen wir, dass diese Eigenschaften letztlich von der Geometrie der zusätzlichen Dimensionen abhängen.
Wüssten wir also genau, wie die zusätzlichen Dimensionen der Stringtheorie aussehen, wären wir auf dem Weg zu einer genauen Beschreibung der Eigenschaften schwingender Strings ein gutes Stück vorangekommen, und damit
könnten wir auch die Eigenschaften der Elementarteilchen, denen die Strings mit ihren Schwingungen ins Dasein verhelfen, detailliert beschreiben. Bisher – und zwar schon seit einiger Zeit – steht uns aber ein wichtiges Hindernis im Weg: Noch konnte niemand die geometrischen Formen der zusätzlichen Dimensionen genau ermitteln. Die Gleichungen der Stringtheorie erlegen dieser Geometrie allerdings bestimmte mathematische Beschränkungen auf: Sie erfordern, dass die zusätzlichen Dimensionen zu einer besonderen Klasse gehören, den sogenannten Calabi-Yau-Räumen , in der Fachsprache der Mathematiker auch Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten genannt; benannt sind diese Gebilde nach den Mathematikern Eugenio Calabi und Shing-Tung Yau, die die Eigenschaften solcher Räume
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