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Die verborgene Wirklichkeit

Die verborgene Wirklichkeit

Titel: Die verborgene Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Greene
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    Als weitere bildliche Darstellung können wir uns vorstellen, ein riesiger Teppich würde die Salzebenen von Utah bedecken. Aus dem Flugzeug sieht der Teppich aus wie eine flache Oberfläche mit zwei Dimensionen, die sich von Norden nach Süden und von Osten nach Westen erstrecken. Wenn wir aber mit dem Fallschirm abspringen und den Teppich aus der Nähe sehen, erkennen wir, dass seine Oberfläche aus einem dichten Flor besteht: Winzige Schlingen aus Baumwolle sind an den einzelnen Punkten des flachen Teppich-Grundgewebes befestigt. Der Teppich hat zwei große, leicht sichtbare Dimensionen (Nord/Süd und Ost/West), aber auch eine kleine (die Schlingen), die schwieriger zu erkennen ist ( Abbildung 4.4 [b]).
    Kaluza und Klein äußerten die Vermutung, eine ähnliche Unterscheidung – einerseits große, leicht erkennbare Dimensionen, andererseits winzige, die schwieriger nachzuweisen sind – könne auch für den Raum selbst gelten. Dass uns allen die vertrauten drei Raumdimensionen bewusst sind, läge dann daran, dass ihre Abmessungen wie die senkrechte Dimension des Trinkhalms und die Nord-Süd- beziehungsweise Ost-West-Dimension des Teppichs groß, ja möglicherweise unendlich sind. Wäre eine zusätzliche Raumdimension dagegen wie der ringförmige Teil des Trinkhalms oder die Teppichschlingen aufgerollt und wäre sie außerdem außerordentlich klein – vielleicht Millionen oder sogar Milliarden Mal kleiner als ein einzelnes Atom –, könnte sie ebenso allgegenwärtig sein wie die bekannten, ausgedehnten Dimensionen, und dennoch wären wir selbst mit unseren heutigen, leistungsfähigen Vergrößerungsinstrumenten nicht in der Lage, sie nachzuweisen. Eine solche Dimension würde schlicht übersehen werden. Dies war der Ausgangspunkt der Kaluza-Klein-Theorie , wonach unser Universum außer den drei bekannten Dimensionen unserer Alltagserfahrung noch weitere, versteckte Raumdimensionen besitzt ( Abbildung 4.5 ).

    Abbildung 4.4 (a) Die Oberfläche eines langen Trinkhalms hat zwei Dimensionen; die senkrechte Dimension ist lang und ohne Weiteres zu sehen, die kreisförmige dagegen ist klein und fast nicht erkennbar. (b) Ein riesiger Teppich hat drei Dimensionen; die Nord-Süd- und Ost-West-Dimension sind ohne Weiteres zu sehen, der kreisförmige Teil dagegen, der Flor des Teppichs, ist klein und fast nicht erkennbar.

    Dieser Gedankengang macht deutlich, dass die Vorstellung von »zusätzlichen« Raumdimensionen, so ungewohnt sie erscheint, nicht absurd ist. Das ist schon einmal ein guter Anfang, es wirft aber eine entscheidende Frage auf: Wie kam jemand damals, in den zwanziger Jahren, auf eine derart exotische Idee? Kaluzas Motiv war eine Erkenntnis, zu der er kurz nach Einsteins Veröffentlichung der Allgemeinen Relativitätstheorie gelangt war. Er stellte fest, dass er Einsteins Gleichungen ganz buchstäblich mit einem einzigen Federstrich so abwandeln konnte, dass sie für ein Universum mit einer zusätzlichen Raumdimension gelten. Und als er diese abgewandelten Gleichungen analysierte, waren die Ergebnisse so spannend, dass Kaluza, wie sein Sohn berichtet, sein normales, zurückhaltendes Betragen vergaß, mit beiden Händen auf den Schreibtisch schlug, auf die Füße sprang und eine Arie aus der »Hochzeit des Figaro« anstimmte. 10 Unter den abgewandelten Gleichungen hatte Kaluza zum einen diejenigen Gleichungen wiedergefunden, mit denen Einstein bereits die Beschreibung der Gravitation in den vertrauten drei Raumdimensionen und einer zeitlichen Dimension gelungen war. Da seine neue Formulierung aber eine zusätzliche Raumdimension umfasste, enthielt Kaluzas Erweiterung noch eine zusätzliche Gleichung. Und siehe da: Als Kaluza seine Gleichungen hinschrieb, war diese zusätzliche Gleichung genau dieselbe, die Maxwell bereits ein halbes Jahrhundert zuvor zur Beschreibung des elektromagnetischen Feldes entdeckt hatte.
    Wie Kaluzas Arbeit zeigt, kann man in einem Universum mit zusätzlichen Raumdimensionen sowohl die Gravitation als auch den Elektromagnetismus als Verzerrungen der Raumzeit beschreiben. Die Gravitation entspricht einer Verzerrung, die die bekannten drei Raumdimensionen einbezieht; beim Elektromagnetismus kommt die vierte Raumdimension ins Spiel. Kaluzas Vorschlag warf vor allem eine Frage auf: Warum sehen wir diese vierte Raumdimension nicht? An dieser Stelle setzte Klein an und äußerte die zuvor erläuterte Vermutung, dass Dimensionen außerhalb jener, die wir unmittelbar erleben, unserer

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