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Die verborgenen Bande des Herzens

Die verborgenen Bande des Herzens

Titel: Die verborgenen Bande des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Deveney
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vielleicht mache ich ihr damit eine Freude. Wenn sie dann aufwacht, sieht sie, dass ich sie liebhabe, und vielleicht geht dann ein Lächeln über ihr Gesicht. Ich mache uns beiden was Schönes zu essen, und anschließend setzen wir uns ins Wohnzimmer und schauen zusammen fern. Vielleicht wird sie dann heute Nacht nicht weinen müssen.
    Der Wäschekorb fühlte sich schwer an, unverhältnismäßig schwer. Ich schleppte ihn in mein Zimmer, hievte ihn auf das Bett und hob die ersten Wäschestücke neugierig an. In ein T-Shirt war etwas Hartes gewickelt. Eine Flasche. Weiter unten in dem Korb fand ich noch eine, in einen Wollpullover gewickelt. Und eine weitere, in einem Handtuch. Und noch eine. Und noch eine. Ich schaute mit leerem Blick auf die Ansammlung von dunkelgrünen Glasflaschen auf der weißen Tagesdecke.
    Lily schlief immer noch ihren Rausch aus. Ich ging in ihr Schlafzimmer, schob den Hocker von ihrem Toilettentisch hin über zum Kleiderschrank und kletterte darauf. Ich hob den Arm und langte vorsichtig mit der Hand hinter die Blende am oberen Ende des Schranks. Meine Finger zogen eine Spur in die Staubschicht auf dem Holz, dann stießen sie auf Widerstand. Etwas Kaltes. Hartes. Ich fasste die Flasche und warf sie auf Lilys Bett, sah zu, wie sie eine Delle in die Zudecke drückte und dabei eine kleine Wolke aus Staubpartikeln aufwirbelte. Ich fand drei Flaschen dort oben. Und zwei weitere ganz hinten in ihrem Schrank, zwischen den Schuhen. Und eine auf dem Grund des Weidenkorbs, in dem die Schmutzwäsche gesammelt wurde. Und zwei weitere in der Unterbettkommode, wo sie ihre Bettwäsche aufbewahrte.
    Die Flaschen machten mir Angst. Ich wollte sie aus dem Haus haben. Ich ging hinunter in die Küche und suchte im Schrank, bis ich einen großen schwarzen Müllbeutel fand. Den nahm ich mit nach oben, trug die ganzen Flaschen zusammen und steckte sie mit resoluten Bewegungen in den Müllsack. Das Klirren des Glases dröhnte mir in den Ohren. Wie der Weihnachtsmann warf ich mir den Sack über die Schulter und schleppte ihn über die Treppe nach unten, in den Ohren das Klingen und Klirren der aneinanderschlagenden Flaschen, als hätten sie ein Eigenleben entwickelt. Als ich unten ankam, wachte Lily auf, rannte verwirrt in den Flur, als wüsste sie nicht, wo sie sich befand. Einen kurzen Moment trafen sich unsere Blicke, und für mich war das Schlimmste zu sehen, wie in ihren Augen jäh die Scham aufflackerte und gleich darauf wieder verschwand, als wäre ein Reiter vorbeigaloppiert.
    »Bring sie nicht alle auf einmal weg«, sagte sie mit leiser Stimme.
    Den Müllsack auf dem Rücken setzte ich schweigend meinen Weg fort zur Hintertür. Meine Angst und Verzweiflung machten mich gnadenlos, sodass mich die Panik in ihrem Gesicht ungerührt ließ. Die Flaschen mussten aus dem Haus. Sie mussten schleunigst alle weg.
    Als ich noch ein Teenager war, verzog ich mich immer so früh ich konnte ins Bett, aber meistens fand ich keinen Schlaf. Dann lag ich da, angespannt, immer auf der Hut, lauschte, ob ich nicht ein Rumpeln von unten hörte; ein Scheppern, wenn ein Glas zu Boden fiel und in tausend Scherben zersprang; ein Poltern, wenn Lily wieder einmal die geschnitzte Holzstatue auf dem kleinen Tisch im Flur umgestoßen hatte; das Stolpern, Stoßen, Tappen, Knarren, bis sie es endlich die Treppe hoch in ihr Zimmer geschafft hatte.
    Ich machte mir beständig Sorgen. Wenn ich im Bad das Wasser laufen hörte, fürchtete ich, sie könnte in der Wanne einschlafen und ertrinken. Sie könnte den Föhn mit nassen Händen einschalten. Ich machte mir Sorgen um sie, aber auch um mich. Ich lebte in ständiger Angst, dass sie unten vergessen hatte, irgendein Gerät oder den Herd auszuschalten, dass wir Gefahr liefen, im Schlaf bei lebendigem Leib zu verbrennen. Oder dass ich aufwachen und ein Fremder neben meinem Bett stehen würde, weil Lily wieder einmal die Haustür sperrangelweit offen gelassen hatte.
    Ich fand keine Ruhe, ehe ich nicht sicher war, dass sie eingeschlafen war. Dann ging ich, wie unter Zwang, wieder nach unten und unterzog alles einer systematischen Überprüfung, wie jemand, der unter Waschzwang leidet und sich ständig die Hände waschen muss. Wenn ich dann endlich wieder im Bett lag, fingen meine Gedanken erneut zu kreisen an. Hatte ich auch wirklich den Herd gecheckt? Die Haustür? Den Wasserhahn? Ja. Ganz sicher? Und obwohl ich wusste, dass ich es gemacht hatte, trieb mich meine nagende Angst bisweilen ein zweites

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