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Die verborgenen Bande des Herzens

Die verborgenen Bande des Herzens

Titel: Die verborgenen Bande des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Deveney
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gewesen sein mochte, hier morgens aufzuwachen, den Schlaf abzuschütteln, während das Rauschen des Meeres ins Zimmer drang und der Wind an den Fenstern rüttelte. Wie es gewesen sein mochte, wenn der Blick durch diese Fenster auf den einsamen Strand fiel, auf das klare blaue Wasser mit seinen weißen Schaumkronen.
    Ich stand da, umgeben von Stille, im Schein der Junisonne, die durch die leeren Fensterrahmen hereinstrahlte, und betrachtete meine Umgebung mit dem gleichen Blick, mit dem Alex dereinst mich angesehen hatte, damals in jenem Restaurant. In diesem Blick kam eine Überzeugung zum Ausdruck, dass bestimmte Dinge unweigerlich passieren würden. Es war nur eine alte, völlig heruntergekommene Hütte, eigentlich eine Ruine, ohne fließendes Wasser und Strom, deren Bodendielen bei jedem Schritt nachgaben. Doch ich hatte noch nie Probleme damit gehabt, mir auszumalen, welches Potential im Unvollkommenen steckt – wie vollkommen es aussehen könnte. Und irgendwie hatte ich in diesem Häuschen das Gefühl, heimgekommen zu sein.
    Manchmal, nachts, stehe ich am Fenster, schaue hinaus in die Dunkelheit, und hänge meinen Gedanken nach, während meine Finger das Muster der blauen Brokatvorhänge nachzeichnen. Ich sehe zu, wie die Wolken am Mond vorbeiziehen und denke dabei an eine Erzählung, die mir einmal in die Finger kam, in der ein Soldat den Sternenhimmel über der Wüste Ägyptens beschrieb. Keine Wolken, kein Smog, nur ein mit Diamanten übersäter Himmel, der von einer Unermesslichkeit zeugte, größer noch als die Anzahl der Sandkörner unter seinen Füßen. Kühne Gedanken kämen einem in der Wüste Ägyptens, erzählte der Soldat. Gedanken über die Ewigkeit, über die unendlichen Möglichkeiten, die das Universum bereithält. Aber man braucht nicht die ägyptische Wüste, um kühne Gedanken zu haben. Ich denke sie hier, unter dem Sternenhimmel von Killymeanan.
    Plötzlich erblicke ich draußen auf der Straße die Scheinwerfer eines Autos, das langsam vorbeifährt, dann schwenkt der Lichtstrahl nach links, neben mein Haus, und ich sehe, wie das Auto auf den Friedhof zuhält. Ich schalte schnell das Licht im Wohnzimmer aus, sodass der Fahrer des Wagens, wer immer es sein mag, nicht merkt, dass ich hinter dem Fenster stehe und ihn beobachte.
    Das Auto macht einen kurzen Schwenk und bleibt dann stehen, die Front zum Friedhof ausgerichtet, sodass der Strahl der Scheinwerfer auf das Gräberfeld rechts vom Eingangstor fällt. Die Fahrertür befindet sich nun fast direkt neben meinem Haus. Ich höre, wie der Motor ausgeschaltet wird, doch die Scheinwerfer leuchten weiterhin, sind weiter auf ihr Ziel gerichtet. Eine einzige Person sitzt im Wagen. Ich schiebe den Vorhang noch ein bisschen weiter zurück und stelle mich auf die Zehenspitzen, weil ich neugierig bin, wer da hinter dem Steuer sitzt. Die Wagentür geht auf, und der Fahrer, ein älterer Mann, beugt den Oberkörper vor und dreht sich dann zur Seite. Er fasst mit beiden Händen unter den einen Oberschenkel und hebt das Bein an, hebt es aus dem Innern des Wagens nach draußen, mühsam, als wäre es ein schwerer Gegenstand. Dann schwingt er das andere Bein nach draußen, greift mit beiden Händen an den offenen Türrahmen und stemmt sich aus dem Sitz hoch. Endlich steht er aufrecht neben dem Wagen.
    Ich lasse rasch den Vorhang los, als er sich umdreht, um die Wagentür zuzuwerfen, und sein Blick dabei automatisch auf mein Fenster fällt. Es geschieht unwillkürlich; er ist sich nicht bewusst, dass ich hinter dem Fenster stehe. Als ich erneut hinüberspähe, sehe ich, dass er den Kofferraum geöffnet hat und soeben einen Gehstock herausnimmt. Der Mann ist gekleidet, als würde er einen förmlichen Besuch abstatten. Er trägt eine Krawatte und ein, wie ich denke, Tweedsakko, genau kann ich es in dem schwachen Licht nicht erkennen, und auf dem Kopf eine Mütze. Ich schätze ihn auf Ende sechzig, vielleicht auch Anfang siebzig, sein Gang ist leicht schleppend, wankend, wie ein Boot, das Schlagseite hat, wobei er mit seinem Gehstock das Gewicht des rechten Beines abfängt.
    Hier in Killymeanan wird der Friedhof auch in der Nacht nicht abgeschlossen. Die Kirche übrigens auch nicht. Der Mann geht mit langsamen Schritten durch das Tor und weiter den Weg hinauf zu dem leicht ansteigenden Gräberfeld, das die Scheinwerfer seines Wagens in helles Licht tauchen. Das Grab, das er besucht, liegt etwa in der dritten Reihe von unten. Die Friedhöfe hier in Irland sind

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