Die verborgenen Bande des Herzens
noch gerade dagestanden hat, gerät plötzlich leicht ins Schwanken, als verlöre sie die Balance, und greift Halt suchend an die Wand.
»Tanzen«, sagt Lily.
»Ich glaube, diese Zeiten sind endgültig vorbei, Lily.« Alex nimmt einen Schluck von seinem Gin und sieht aus, als hätte er ihn in diesem Moment bitter nötig.
Lilys Augen glitzern verschlagen.
»Du sotanse, Ax. Mi Karn.«
»Ich tanze nicht«, erklärt Alex rundweg.
»Ja!«, ruft Lily aus. »Karn.«
Ich ahne, was die alte Krähe im Schilde führt.
»Kommen Sie, Alex«, sage ich. »Machen wir Lily eine Freude. Es wird uns schon nicht wehtun, oder?«
Alex sieht aus, als würde er in Panik geraten.
»Bitte sehr«, sagt er dann zu Lily in dem Bemühen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. »Ich werde mit dir tanzen, Lily, wenn es dir so viel bedeutet.« Mit einem entschlossenen Lächeln geht er auf Lily zu, doch die wedelt ablehnend mit ihrer guten Hand.
»Oohh. Nichmemia, Ax. Karn.«
Alex sieht aus, als stecke er in der Zwickmühle.
»Kommen Sie, Alex«, sage ich und strecke ihm meine Hand entgegen, »zeigen Sie uns, was in Ihnen steckt.«
Ich fasse ihn an der Taille und ergreife seine Hand, als wäre ich der Mann.
»So etwa?«, sage ich zu Lily gewandt. Ich habe keine Ahnung, welche Schritte der männliche Tanzpartner macht, aber das ist mir egal. Ich nutze es einfach aus, ihm so nahe sein zu können.
»Was zum Teufel soll das Ganze?«, sagt Alex unwillig. Ich beuge mich zu ihm und flüstere ihm ins Ohr.
»Spielen Sie einfach mit.«
Dance with me! I want my arms around you
The charms about you will carry me through to
Heaven …
Im Grunde bewegen wir uns kaum von der Stelle, aber ich sorge dafür, dass ich richtig nahe an Alex herankomme. Ich spüre seine Körperwärme, wo meine Hand seinen Rücken berührt. Ich presse meine Hüften gegen seine. Ich kann Lilys bohrende Blicke in meinem Rücken regelrecht fühlen.
»Toilette«, sagt sie, verlässt ihre Stellung an der Wand, wobei ihr Gehstock polternd zu Boden fällt, und geht aus dem Zimmer.
Ich weiß jetzt ganz genau, was die Alte im Schilde führt. Sie will ihn auf die Probe stellen. Ihm auf den Zahn fühlen. Sie weiß, Alex ist ein Weiberheld, und verwirrt, wie sie ist, glaubt sie, dass ihr nun gleich der handfeste Beweis dafür geliefert wird. Wenn sein Schmerz nicht groß genug ist, um mir zu widerstehen, dann kann ihm Carol Ann wohl nicht viel bedeutet haben; vielleicht hat er sie sogar umgebracht. Sie denkt, sie hat jetzt die zwei chemischen Elemente zusammengebracht, und wenn sie ins Zimmer zurückkommt, wird sie sehen, ob sie reagiert haben, ob es zu irgendwelchen Explosionen gekommen ist.
Ihre Gedankengänge sind seit dem Schlaganfall völlig abstrus. Bisweilen führt sie sich richtig kindisch auf, launenhaft, lässt ihren Emotionen freien Lauf. Sie bildet sich ein, das Ziel aller möglichen Verschwörungen zu sein. Wie Lily behauptet, benutzen die Ärzte sie als Versuchskaninchen, indem sie ihr unerforschte, ungetestete Arzneimittel verabreichen. Lily blafft alle Leute an. Dennoch spiele ich bei ihrem Tanzexperiment mit. Ich würde selber gern herausfinden, wie das mit der Chemie zwischen Alex und mir ist. Wenn auch aus anderen Beweggründen.
Kaum ist Lily aus dem Zimmer, lässt Alex seine Hand sinken und hört auf zu tanzen.
»Mannomann«, sagt er. »Sie …«
»He«, sage ich in einem leicht anzüglichen Ton, »mir hat es gefallen …« Ich greife wieder nach seiner Hand, ziehe ihn an mich.
Alex betrachtet mich abschätzend.
»Wollen Sie mich anbaggern, Karen?«
»Wie würden Sie reagieren, wenn ich es täte?«
Er schaut zu mir hinunter, und ich sehe, wie sein Blick zu meinem Dekolleté wandert und dann zu meinem Gesicht zurückkehrt. Und dann riskiert er einen zweiten Blick. Aber das ist ihm nicht einmal bewusst, es geschieht ganz automatisch.
»Ich finde…«
»Sie finden mich sehr attraktiv.«
»Ach, tue ich das?«
»Nun«, sage ich und gehe noch mehr auf Tuchfühlung, »da wir ja heute Abend Filmmusik hören, lassen Sie es mich mit Mae Wests Worten sagen. Ist das ein Revolver in Ihrer Hose, oder freuen Sie sich einfach, mit mir zu tanzen?«
»Es ist ein Revolver in meiner Hose.«
Ich höre das Rauschen der Toilettenspülung.
»Dann sollte ich mich wohl besser in Acht nehmen«, sage ich.
»Ja«, erwidert Alex, »das finde ich auch.«
Lily erscheint im Türrahmen, ihre Blicke fliegen neugierig hin und her, ob es irgendwelche Funken zu sehen gibt. Ich
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