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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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Augenblick zur Flucht nutzte, doch genau sehen konnte er es durch die Zweige nicht. Dennoch betete er, dass das Kriechtier im Fall des Falles nicht auf die Idee kam, sich ausgerechnet unter der Weide in Sicherheit zu bringen.
    Das Gebet wurde nicht erhört.
    Im nächsten Augenblick stießen die Weidenzweige klappernd gegeneinander. Laub raschelte. Pferde schnaubten ganz in der Nähe. Aus den Augenwinkeln sah Tobbs gerade noch, wie etwas Helles, Schnelles durch das Gras unter die Weide glitt, dann schoss schon der Kopf der weißen Schlange direkt vor ihnen in die Höhe. Das Vieh musste mindestens zwei Meter lang sein! Gelbe Augen starrten Tobbs an, eine dunkelblaue, gespaltene Zunge bog sich in die Luft und das Maul klappte auf. An den Spitzen der mörderischen Zähne blitzten zwei winzige Gifttropfen auf. Das Ungeheuer stieß zu.
    Es war einer dieser Momente, in denen der nicht menschliche Teil von Tobbs das Ruder an sich riss, ohne zu fragen. Eben noch war er ein Mensch gewesen, der sich vor den Giftzähnen einer Schlange fürchtete, nun aber verwandelte er sich in etwas Dunkles, instinktiv Handelndes und übermenschlich Flinkes.
    Er schnellte nach hinten und riss Anguana mit, während seine rechte Hand von ganz allein nach vorn schoss und das Reptil aus der Luft pflückte. Bevor die Schlange auch nur daran denken konnte, sich um seinen Arm zu winden, packte er fest zu. Es machte leise Knack!, dann erschlaffte ihr schuppiger Körper. Irgendeine Erinnerung sagte ihm, dass frisches Schlangenfleisch köstlich schmeckte und dass er nicht zögern sollte, die Zähne in die Beute zu schlagen, aber der andere Tobbs – der, der mit Messer und Gabel aß – meldete sich wieder zurück und starrte das erlegte Tier angewidert an.
    »Hebi, doko ka?«, rief der Hirte aufgeregt.
    Die Weidenzweige teilten sich wie der Vorhang in einem Kasperletheater und gaben den Blick frei auf das fassungslose Gesicht, das aus der Nähe betrachtet ein wenig an einen Breitmaulfrosch erinnerte.
    Tobbs staunte, wie groß und rund die schmalen Augen des Hirten vor Entsetzen wurden. Nun, er konnte sich bestens vorstellen, wie sie beide auf den Mann wirken mussten: ein grünhaariges Mädchen und daneben ein staubiger Golem, der sein Haustier auf dem Gewissen hatte. Zur Sicherheit fletschte Tobbs nun auch noch die Zähne und knurrte.
    »Yôkai!«, kreischte der Mann aus voller Kehle. Angst ließ seine Stimme überschnappen. »Yôkai!«
    Er fuchtelte mit den Armen, warf seinen Stock weg und rannte davon – mitten in eine Gruppe von Pferden, die inzwischen den Bach an der schmalsten Stelle übersprungen hatten. In seiner Aufregung rammte er eines der Tiere. Ein trockenes Klock! erklang, als Menschenkopf und Pferdestirn gegeneinanderstießen, Tobbs hörte ein empörtes Schnauben und Quieken. Und dann war plötzlich die Hölle los.
    »Weg hier!«, rief Anguana.
    Gemeinsam brachen sie durch die Weidenzweige – und standen einer Front von rabiaten roten Rosse gegenüber. Die winzigen Schlangen an den Pferdefesseln zischten, als die Gäule voller Wut ausschlugen und bockten. Schreiend brachte sich der Hirte mit einem Satz in den Bach in Sicherheit.
    Die Pferde donnerten los. Tobbs hätte sich gewünscht, Schweife und Hinterhufe zu sehen, aber die Stampede, die nun auf sie zukam und auf ihrem Weg alles niederwalzte, bestand leider aus messerscharfen Vorderhufen, weit aufgerissenen Augen und schaumbedeckten Mäulern. Im Wind peitschende Mähnen fetzten Herbstblätter von den tief hängenden Zweigen. Gewöhnliche Pferde wären geflohen, aber diese höllischen Mähren hier hatten eindeutig ganz andere Pläne. Und wahrscheinlich fraßen sie auch kein Gras, sondern hatten rein gar nichts gegen frisches Hackfleisch einzuwenden.
    Tobbs und Anguana drehten sich beide gleichzeitig um und rannten. Zweige kratzten ihnen schmerzhaft über Stirn und Wangen. Gemeinsam sprangen sie über bemooste Steine und hasteten Haken schlagend durch Gebüsch und unter hängenden Mistelbüschen hindurch. Hinter ihnen kam das Stampfen immer näher. Ein bösartiges Wiehern zerschellte in einem eiskalten Kribbeln an Tobbs’ Genick, schon spürte er den schnaubenden Atem in seinem Haar. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis das Untier ihm den Kopf abbeißen würde. Klebrige Hände schienen seine Schuhe festhalten zu wollen, schmatzende Geräusche erklangen und Tobbs begriff, dass sie die ganze Zeit am Bach entlanggelaufen waren. Anguana hatte ihn in die Richtung des Wassers

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