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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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heiligen Berge. Die Schwärme hausen dort und auf dem Boden ringeln sich Pflanzen, die jedes lebende Wesen verschlingen.«
    Tobbs wurde auf der Stelle mulmig zumute. Er konnte nur hoffen, dass dies ein Schauermärchen war, das man Stadtkindern wie Ambar erzählte.
    »Warum willst du dann dorthin?«, fragte er zaghaft.
    »Ich will auf die andere Seite der Berge. Und eines Tages wird es mir gelingen – wenn schon nicht in diesem, dann im nächsten Leben. Ich werde ein Raubvogel sein oder eine Libelle.«
    Tobbs schüttelte den Kopf. »Und warum setzt du dich dann dem Risiko aus, von den Schwärmen verschlungen zu werden? So läufst du doch Gefahr, auch deine Seele zu verlieren.«
    Nun war es an Ambar, ihn spöttisch anzulächeln. »Dazu müssen sie mich erst einmal kriegen. Alles im Leben braucht eine gute Geschichte. Eine besondere. Wir müssen etwas riskieren.« Ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Du gefällst mir«, sagte sie und legte ihm die Arme um den Hals. »Wir werden heute vielleicht sterben – sollten wir uns da nicht vorher küssen?«
    Tobbs war verwirrt. Ihr Gesicht, das so sehr an Anguanas zarte Züge erinnerte, ihr Mund …
    Ein Schatten huschte plötzlich über Ambars Stirn. Ein Flügelschatten. Das Geräusch von schlagenden Schwingen erfüllte die Luft. »Sie kommen«, sagte Ambar mit bebender Stimme.
    Sie flogen in Gestalt von weißen Pfauen und leuchteten vor dem Nachthimmel wie der Mond. Es waren ungefähr zehn und sie stürzten sich Blitzen gleich auf die Stadt. Tobbs wartete auf Kampfschreie, aber die Stille war viel schlimmer. Der Großteil der Schwarmfrauen drehte ab und flog in Richtung der bewachten Türme, doch zwei von ihnen hielten auf das Dach zu, auf dem die Gruppe der DZHS wartete.
    Tobbs sah hungrige Augen, spitze Schnäbel und Adlerkrallen. Auf den anderen Dächern erhob sich Geschrei. Pfeile sausten in den Himmel, ein Pfau verlor ein ganzes Bündel Federn und drehte sich torkelnd in der Luft. Ambar rannte los. »Zu den Sternen!«, brüllte sie. Einer der Spionspiegel klappte wie ein großes Auge um und verfolgte ihren Weg.
    Tobbs hatte keine Chance. Die zweite Vogelfrau entdeckte ihn genau im selben Moment, in dem die erste Ambars Verfolgung aufnahm. Keine Zeit, die Opferschalen aus den Taschen zu holen. Tobbs rannte los.
    Ambar hatte Recht gehabt. Der Mantel störte nur, aber ohne ihn wäre Mamsie Matata auf seinem Rücken fast ungeschützt. Seine Sohlen hämmerten auf das glatte Dach, während hinter ihm das Schwunggeräusch riesiger Flügel heranrauschte. Jeden Augenblick erwartete er, dass sich scharfe Krallen in seinen Nacken bohrten und ein Pfauenschnabel ihm in die Schultern hackte. Seine ganze Haut kribbelte, als würde er in einem Hagel von spitzen Kieselsteinen stehen. Federn streiften seinen Nacken. Tobbs schlug Haken und duckte sich blitzartig, wenn die Klauen ihm zu nahe kamen. Mit letzter Kraft lief er über eine Kreidemarkierung, die mit der Zahl 3 versehen war, und rettete sich mit einem Hechtsprung in eine Nische im Schutzturm. Hart schlug Mamsies Spiegelrahmen gegen die Wand. Mamsie Matata gab einen gedämpften Empörungsschrei von sich. Weiße Pfauenschwingen rauschten in voller Fahrt am Türspalt vorbei, dann sah man nur noch den Nachthimmel.
    Die anderen applaudierten. Tobbs zuckte zusammen, als er sah, dass die zwei Jungen bereits in der Nische saßen. Der größere von beiden nickte ihm anerkennend zu.
    »Drei Punkte«, sagte er. »Hoffentlich hat der Spiegel das gut erwischt, sonst kann es sein, dass die Punkte nicht gezählt werden.«
    Tobbs klappte die Kinnlade nach unten. Mit einem Mal verstand er – der eine Spionspiegel fing die Jagd auf dem Dach ein und leitete die Bilder irgendwohin. Es war ein Spiel! Allerdings eines um Leben und Tod. Und irgendwo da unten, in der Sicherheit lackierter Wände, saßen Menschen und beobachteten in einem Panoramaspiegel, was hier oben passierte.
    »Spinnt ihr alle?«, zischte Tobbs die zwei an. »Das ist kein Spiel! Das ist lebensgefährlich!«
    Ein Junge hob die Hand. »Da!«, flüsterte er.
    Tobbs fuhr herum. Durch den schmalen Spalt konnte man ein Stück der glatten Dachkante sehen. Ambar lief. Nein, sie lief nicht, sie tänzelte. Im Gegensatz zu ihr wirkte der fliegende Pfau, der ihr folgte, schwerfällig und ungelenk. Mühelos tauchte sie unter dem zuschnappenden Schnabel nach links und rechts – konzentriert wie ein Boxer, der den Gegner ins Leere laufen lässt.
    Ambar musste wahnsinnig sein, aber

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