Die verbotene Pforte
flüsterte sie völlig fasziniert. »Schau mal, meine Hän…« Tobbs sah nur noch, wie ihr wehendes Haar wieder verblasste und mit den fliehenden Wolken verschmolz, dann hatte die Gemeuchelte Megan sich aufgelöst.
Lange starrten Anguana und er auf Jamies einsamen Körper. »Der Letzte der Kavanians«, sagte Anguana schließlich. »Damit hat Megan wohl ihre Aufgabe als Todesfee erfüllt.« Dann zuckte sie zusammen und sprang so schnell auf, dass Tobbs das Gleichgewicht verlor. »Der Mancor!«, schrie sie und ihre klagende Stimme klang in Tobbs’ Ohren wie ein Echo von Megan.
Das Raubtier lag auf der Seite. Seine Flanken hoben und senkten sich nicht mehr. Tobbs war viel zu betäubt, um sich auszumalen, was der Tod von Kalis Kutschtier bedeutete. Selbst Mamsie Matata schwieg betreten.
Anguana ging zu dem toten Ungeheuer hinüber und beugte sich über seinen Kopf. Behutsam strich sie das Löwenhaar glatt. Tobbs stutzte – doch seine Gedanken mussten erst einige Male im Kreis herumwandern, bis er wusste, was an dem Bild verkehrt war: Der Mancor war viel kleiner geworden – fast nur noch so groß wie ein halbes Pferd oder ein Löwe. Anguana schrie vor Schreck auf, als der Kadaver sich an einer Stelle beulte. Eine Pfote fiel leblos zur Seite, dennoch bewegte sich das Fell – allerdings auf eine Art, auf die sich kein Fell bewegen sollte.
»Oh, oh«, meldete sich Mamsie Matata zu Wort. »Ich weiß nicht, was das wird, aber ein Mancor ist das Ding da mit Sicherheit nicht mehr.«
Tobbs schauderte und wich einige Schritte zurück. Erst als er Fuchsfell unter seinen Fingern spürte, fühlte er sich wieder etwas sicherer.
Der Mancor schien schäbiger zu werden, das Haar verlor jeden Glanz. Leere Augenhöhlen wurden sichtbar, dort, wo eben noch wasserblaue Tigeraugen gewesen waren. Nähte spannten sich und rissen gleich darauf mit einem hässlichen Ratschen. Dann wälzte sich ein blonder Mann ächzend aus dem Fell und kam benommen auf die Beine. Er taumelte einige Schritte von seiner seltsamen Hülle weg, verzog den Mund und spuckte etwas in seine Hand. Es war eine silberne Gewehrkugel. Der Mann betrachtete sie eine Weile, dann ging ein Strahlen über sein Gesicht. Er hielt die Kugel Anguana hin wie eine Kostbarkeit.
»Die hat mich umgebracht«, sagte er mit einer Stimme, die jede Elfe neidisch gemacht hätte. »Ich wusste, dass mich Silber töten muss, um Kalis Bann zu brechen, aber bisher war es mir noch nie gelungen, die richtige Kugel dafür zu finden. Und wie oft habe ich es versucht, aber keine einzige Waffe im ganzen großen Reich Yndalamor vermochte mich zu töten.«
»Das … ist geweihtes Silber«, sagte Tobbs. »Der Dorfpfarrer wollte damit gegen höllische Mächte vorgehen.«
»Das Silber fremder Götter also!« Der Mann lachte. »Damit hätte Kali nie im Leben gerechnet.«
Anguana beugte sich zu dem Fell und hob es auf. »Zusammengeflickt aus Tigerfell, Pferd und Löwe. Das war alles?«
»Das war alles«, bestätigte der ehemalige Mancor. Er befühlte mit den Händen sein Gesicht. »Und jetzt würde mich sogar Indrakshi wiedererkennen!«
Mamsie Matata stieß einen begeisterten Pfiff aus. »Indrakshi! Nun wird mir einiges klar, Pritam, du Prinz der Herzen!« Hingerissen strahlte sie den schönen Jüngling an.
Pritam senkte in einer Geste anmutiger Verlegenheit den Kopf. »Ja, die Geschichte kennt wohl jeder in Yndalamor.«
»Kennen?«, rief Mamsie Matata spöttisch. »Es gibt wohl kein Mädchenzimmer, in dem kein Bild von euch beiden hängt!« Sie wandte sich an Tobbs. »Indrakshi ist nämlich die Tochter von König Chandra, der in der silbernen Stadt Ghan residierte. Seit ihrer Geburt war Indrakshi der Göttin der Zerstörung versprochen. Sie sollte ihr bis an ihr Lebensende im Tempel dienen. Doch dann begegnete Indrakshi eines Tages Pritam im Tempel – sie fegte gerade die Blütenblätter vor dem Schrein weg, um neue zu streuen, und Pritam sah sie dabei und sprach sie an. Na ja, den Rest kannst du dir denken – wie das eben so ist bei jungen Leuten: Sie verliebten sich, schmiedeten einen todsicheren Plan und flohen.«
Anguana hatte große Augen bekommen. »Und Kali hat euch gefunden und als Strafe in Ungeheuer verwandelt?«
»Für wie fantasielos hältst du die Göttin?«, fuhr Mamsie Matata sie ungnädig an. »Als Allererstes vernichtete sie natürlich die silberne Stadt Ghan von König Chandra und tötete jeden einzelnen Bewohner, König Chandra eingeschlossen, außerdem die Verwandten
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