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Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wensierski
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und freute sich, als sie die Jiaozi probierten.
    Wohin sie auch kamen, drängten sich die Menschen um sie. Sie waren neugierig und freundlich, aber Marie und Jens verunsicherte der Aufruhr, den sie verursachten. Sie wollten so rasch wie möglich raus aus der Stadt und aufs Land. Per Anhalter, das würde in China kaum funktionieren. Sie waren auf Bahn und Busse angewiesen.
    Für ein paar chinesische Yen mieteten sie sich in einer Herberge, die nicht für Ausländer gedacht war, gemeinsam ein Bett. Der junge Chinese am Empfang gab ihnen ein großes, hellblau besticktes Handtuch, das zugleich als Decke dienen sollte. Ihr Schlafsaal hatte Platz für zwölf Personen.
    Schlafen konnten sie allerdings kaum.
    Ihr Bett war eine schmale, harte Pritsche, auf der nur eine Bastmatte lag. An der Wand surrte laut ein Ventilator, und im Laufe des Abends wurden alle Betten belegt.
    Marie lag lange wach und dachte über ihren ersten Tag in China nach. Es war stickig und düster im Schlafsaal, hart und spartanisch, unruhig. Wie anders fühlte sich das Leben in China an als das der Nomaden in der Mongolei!
    Am Morgen wurden sie aufgefordert, schnell zu gehen. Das Personal hatte Ärger bekommen, weil es die beiden Ausländer hatte übernachten lassen.
    SIE BESPRACHEN die möglichen Reiserouten mit Bahn und Bus, aber Jens hatte eine bessere Idee. Er fand heraus, welcher Zug sie bis zur Schiffsanlegestelle am Jangtsekiang bringen würde. Sie wollten so weit wie möglich auf dem Fluss Richtung Wuhan reisen, dann über Land bis nach Schanghai, von dort nach Peking.
    Sie kauften die billigsten Fahrkarten nach Chongqing. Die Fahrt sollte einen Tag dauern. Sie nahmen auf einer der Holzbänke des Waggons Platz. Doch als Marie aufstand, zur Toilette ging und kurze Zeit später zurückkehrte, hatte sich inzwischen ein Mann auf ihren Platz gesetzt. Jens protestierte erfolglos. Der Mann reagierte nicht, kaute seelenruhig seinen Tabak, zog die Nase hoch und spukte auf den Boden.
    Sie konnten den Kampf um die Sitze auch bei anderen beobachten. Niemand in den billigen Klassen hatte einen sicheren Platz. Schon beim Einsteigen wurde heftig gedrängelt und geschubst. Wer aufstand, verlor seinen Sitzplatz.
    Marie hätte sich gern auf den Boden gesetzt. Doch der war von den Mitreisenden vollgerotzt worden.
    Die Menschen um sie herum sahen arm aus, ihre Kleidung war abgenutzt. Der einzige Luxus auf der Zugfahrt bestand darin, dass in regelmäßigen Abständen die Schaffnerin mit einer großen Kanne kochend heißen Wassers durch den Waggon ging und die Teegläser oder Tassen der Passagiere auffüllte. Marie beobachtete, wie die Leute immer wieder Wasser auf dieselben Teeblätter gossen, etliche konnten sich nicht einmal Tee leisten und tranken einfach heißes Wasser. Wenn die alten Frauen und Männer lachten, sah sie in lückenhafte Gebisse.
    Marie fühlte sich nicht wohl. Jens versuchte, sie aufzumuntern, am Morgen würden sie ja Chongqing erreichen, er bot ihr seinen Platz an, doch sie schüttelte den Kopf. Irgendwann überwand sie sich und hockte sich in einer Ecke des Abteils, in die noch nicht gespuckt worden war, auf den Boden. Jens gab seinen Platz auf und setzte sich dicht neben sie. Sie lehnten sich die ganze Nacht an ihre Rucksäcke und fielen in einen schaukelnden, unruhigen Halbschlaf.
    AM NÄCHSTEN MORGEN wurden sie mit chinesischer Musik geweckt. Dann wuschen sich alle. Die feuchten Handtücher hängte man auf eine Stange über den Fenstern. Nach kurzer Zeit kam das Zugpersonal und zog sie auf eine Höhe zurecht. Zum Frühstück gab es Instantnudeln.
    Chongqing empfing sie mit einer anstrengenden, feuchten Wärme, das Gedränge war noch größer als in Hohhot. Jens fotografierte Trauben von klingelnden Fahrradfahrern in den Straßen. Marie hockte sich neben einen vielleicht zweijährigen Jungen, der am Straßenrand saß. Er hatte eine Feder im Mund und saugte daran. Die Feder war sein Ersatz für einen Schnuller.
    Die Häuser in den kleineren Gassen waren aus Stein, aber meist unverputzt, die Dächer immer wieder geflickt. Auf manchen Häusern lagen nur Plastikplanen. An den Enden baumelten dicke Ziegelsteine an Schnüren, um die Plane glatt zu halten.
    Wo es einmal Putz gegeben hatte, war er abgefallen. Auf den Stufen vor den Eingängen saßen meist mehrere Menschen, überall lehnten Fahrräder an den Hauswänden. Offenbar planlos verlegte Stromleitungen zogen sich in Höhe der Dächer durch die ganze Stadt. An manchen Stellen erinnerten sie an

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