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Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wensierski
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hören konnte: Wo gibt’s denn so was, alte Leute ausfragen? Wo leben wir denn?
    Marie staunte über ihren Mut, aber schließlich: Was sollte man einer alten Frau, die den Krieg noch erlebt hatte, schon anhaben können? Als die Polizisten fort waren, erfuhr sie, dass seit längerem im Hausflur zwei Plakate gehangen hatten, bis jemand aus dem Haus Anzeige erstattet hatte. Friedensplakate. Eins davon zeigte ein Gewehr im Papierkorb. Die Polizisten hatten die Frau gefragt, ob sie wisse, wer aus dem Haus die Plakate aufgehängt habe.
    WENN MARIE und Jens aus dem Fenster sahen, fiel ihr Blick auf den Eingang einer Synagoge schräg gegenüber. Die Volkssolidarität nutzte die Ladenräume im Vorderhaus als Rentnertreff. Die Synagoge selbst befand sich im Hinterhaus, was sie 1938 davor bewahrt hatte, niedergebrannt zu werden, weil sie direkt an andere Häuser stieß. Jetzt diente sie den verbliebenen Ost-Berliner Juden als Versammlungsort ihrer kleinen Gemeinde. Sonnabends sah Marie die Gläubigen ins Gebäude gehen, ihre Kippa setzten sie sich erst kurz vor dem Eintreten auf den Kopf.
    Und ausgerechnet hier, in der Vorderhauszeile, war eine Kneipe, deren Wirt als alter Nazi verrufen war, die »Gaststätte am Wasserturm«. Ob das stimmte, wusste Marie allerdings nicht. Jens ging nicht in Kneipen wie diese, auch nicht ins »Mosaik«, »Café Nord« oder ins »Wiener Café« in der Schönhauser, und beim »Wasserturm« wagte sich Marie nur einmal durch die speckige Eingangstür, die links und rechts flankiert wurde von einem lachenden Schultheiß auf einem rot-weißen Emailleschild. In dieser sogenannten Gaststätte, stellte Marie fest, gab es nur Bockwurst, zu 85 Pfennig, dazu Kartoffelsalat aus einem Eimer unterm Tresen. Bekannt war, dass der Wirt streng auf die Einhaltung der Sitzordnung achtete – Keine fünf Stühle am Tisch! – und seine schlimmsten Sprüche meist in sich hineingrummelte. Sein Schäferhund lag immer vor dem Tresen, die Stammgäste nannten ihn »Hitlers Hund«, genau wie jenes ergraute Exemplar der alten Wirtin im »Fengler«, auch »Keglerheim« genannt, ein paar Ecken weiter, in der Lychener Straße. Das Bier am Tresen war billiger als an den Tischen. Ein kleines Helles mit einem Korn kostete 99 Pfennig. Für alte Männer mit Magenproblemen hielt der Wirt einen Reisetauchsieder bereit, den sie in ihre Gläser stellten, um das Bier kurz anzuwärmen.
    Woanders in Prenzlauer Berg gab es Kneipen, in denen uniformierte Volksarmisten und andere Vertreter der Staatsmacht nur widerwillig bedient wurden. Der Wirt am Wasserturm aber weigerte sich, langhaarige Jugendliche in Parkas zu bedienen, wenn sie sich doch einmal an einen seiner Tische verirrt hatten.
    Die Jugendlichen mieden in der Regel allerdings ohnehin die Kneipen mit ihrem Vorkriegscharme, mit den braun-weiß karierten Tischdeckchen, den abgenutzten Tischen und Stühlen, ausgetretenen Dielen und den Fenstern, die mit gelb verqualmten Gardinen zugehängt waren. Nur manchmal kamen sie mit Kannen oder alten Krügen, um sie sich vom Wirt mit Bier der volkseigenen »Berliner Brauereien« füllen zu lassen, das sie dann mit in ihre Wohnungen nahmen, um unter sich zu feiern.
    Nicht nur in den Kneipen, auch in den meisten Straßen rund um den Wasserturm wirkte vieles so, als sei der Krieg gerade erst vorbei. Wenn man darauf achtete, war das Vergangene überall gegenwärtig. An den Häuserwänden waren noch Löcher zu sehen, die Kugeln und Granatsplitter in den Putz geschlagen hatten. Die Fassaden erzählten Geschichten von Bombentreffern und Bränden. Verwitterte Werbeschilder wiesen auf Geschäfte in Kellern oder Hinterhöfen hin, die es längst nicht mehr gab. Ein ausgestreckter Finger, mit einer Schablone auf die Wand gemalt, markierte den Weg zur Schuhmacherei Fritz John im Seitenflügel, zu Eduard Wellhausen, Schriftmaler, vorn 1 Treppe oder zum Fuhrunternehmen Carl Rauch, 2. Hinterhof, Quergebäude .
    Der rote Backsteinbau des alten Wasserturms warf bei Sonnenschein einen dunklen Schatten in die Rykestraße bis zum Eingang der Synagoge. Für Marie strahlte das Bauwerk etwas Düsteres aus, seitdem ihr ein alter Mann aus dem Nachbarhaus mehr über dessen Geschichte erzählt hatte. Gleich nach der Machtergreifung der Nazis war hier vom Februar 1933 an eines der ersten wilden Konzentrationslager entstanden. In der angrenzenden ehemaligen Maschinenhalle waren politische Gegner verhört und gefoltert worden, die bei den ersten Razzien der SA im

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