Die verbotenen Küsse des Scheichs (German Edition)
werde, dachte er. Aber er war nicht froh. Eine tiefe Traurigkeit erfüllte ihn. Er schloss die Finger, um die letzten Sandkörner festzuhalten. Doch zu spät. Seine Hand war leer.
So leer wie die Wüste. So leer wie sein Leben.
Jedes Ding hatte seine Zeit. Das wusste Cassie.
Es gab eine Zeit, in der man sich niemandem anvertrauen durfte. Da musste man allein leiden und vor den anderen verbergen, dass man überhaupt litt. Denn nur so konnte man beweisen, dass der Vorwurf falsch war, man sei das unbeständigste und unverantwortlichste der Armstrong-Mädchen.
Es gab aber auch eine Zeit, in der man Trost suchen durfte bei dem Menschen, der einem immer zur Seite gestanden hatte. Für Cassie war ihre ältere Schwester dieser Mensch, denn nach dem Tod ihrer Mutter hatte niemand ihr nähergestanden als Celia.
Es war also nur natürlich, dass Cassie an ihre Schwester schrieb, sobald sie nach der letzten Nacht mit Jamil unglücklich und verwirrt in ihrem eigenen Schlafgemach erwacht war. Sie erklärte nicht viel, sondern drängte Celia nur, sie so bald wie möglich aus Daar-el-Abbah abzuholen.
Sie musste Jamil aus dem Weg gehen, denn die Ereignisse der letzten Nacht hatten ihr deutlich gezeigt, wie schwach sie war. Wenn er sie noch einmal bat, sich mit ihm der Lust hinzugeben, dann würde sie ihn womöglich nicht abweisen. Dabei wusste sie doch genau, dass sie das tun musste, wenn sie nicht auch noch ihren Stolz verlieren wollte. Schlimm genug, dass sie ihr Herz verloren hatte …
In Gedanken rechnete sie aus, wie lange eine Karawane von Balyrma nach Daar brauchen würde. Vermutlich würde Celia den Brief erst in einer Woche erhalten. Dann mussten Vorbereitungen getroffen werden, ehe die Karawane aufbrechen konnte. Ich muss mich also auf eine recht lange Wartezeit gefasst machen, mahnte sich Cassie.
Daher war sie erleichtert, als sie von Linah erfuhr, dass Jamil die Stadt verlassen hatte. Doch ihre Erleichterung dauerte nicht lange. Warum hatte er sich nicht von ihr verabschiedet? Seit langem hatte sie sich nicht so einsam gefühlt. Er fehlte ihr, obwohl sie einander doch während der letzten Wochen nicht oft gesehen hatten. Seine Abwesenheit rief einen ständigen Schmerz in ihrem Herzen hervor. Aber ihr war durchaus bewusst, dass sie auch leiden würde, wenn er sich in Daar aufhielt. Deshalb musste sie die Stadt so schnell wie möglich verlassen.
Cassie, die früher nie so schnell geweint hatte, sehnte sich nun nach der Erleichterung, die Tränen zu schenken vermochten. Doch aus irgendeinem Grund war es ihr unmöglich zu weinen. Vielleicht war ihr Kummer einfach zu groß. Ihre Welt war aus den Angeln geraten.
Das spiegelte sich auch in ihrem Verhalten wieder. Aus dem temperamentvollen und oft dramatischen Mädchen, dessen Gefühle stets überschäumten, war eine stille junge Frau geworden, die sich immer mehr in sich selbst zurückzog.
Cassie litt. Aber sie litt schweigend. Um Linahs willen bemühte sie sich, ihren Kummer vor aller Welt zu verbergen. Dabei kostete jede Bewegung sie Mühe und jedes Lächeln Überwindung. Sie bemühte sich. Sie überwand sich. Wenn Linah fragte, was denn nicht in Ordnung sei, behauptete sie, es ginge ihr gut. Manchmal ließ die kleine Prinzessin sich täuschen. Öfter jedoch musterte sie sie mit einem wissenden Blick, griff nach ihrer Hand und drückte sie. Dann sagte Cassie, sie habe ein wenig Kopfschmerzen, doch die gingen gewiss bald vorbei. Die Folge war, dass die feinfühlige Linah sie nicht mehr aus den Augen lassen wollte.
Auch darunter litt sie. Cassie kam sich selbst fremd vor. Ja, manchmal war ihr, als beobachte sie sich selbst wie eine Figur in einem Theaterstück. Hatten nicht schon die alten Griechen die Ungerechtigkeit des Schicksals verflucht! Gab es nicht genug Literatur darüber? Warum musste sie am eigenen Leib erfahren, wie es war zu lieben, ohne wiedergeliebt zu werden?
Warum konnte Jamil sie nicht lieben? Warum? Warum? Warum?
Tränen hätten ihr Erleichterung gebracht. Doch sie konnte nicht weinen.
Cassie saß am Mondbrunnen und versuchte, Kraft für die nächsten Stunden zu sammeln, als das Tor aufgerissen wurde und den Blick freigab auf eine wohlbekannte Gestalt.
Celia!
Im ersten Moment glaubte Cassie zu träumen. Dann sprang sie auf und lief ihrer Schwester entgegen. „Celia, wie schön, dass du da bist! Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue.“ Sie warf sich der Schwester in die Arme. „Wie hast du es nur geschafft, so schnell
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