Die Verdammten der Taiga
gegenüberliegenden Wald zu haben, stöberten sie eine Hasenfamilie auf und schossen drei davon. Der Rückweg über den Fluß war ebenso abenteuerlich wie der Hinweg, aber er hatte seine unbekannten Schrecken verloren. Man wußte jetzt, wie man springen mußte. Nachdem sie die Strömungsrinne überwunden hatten, schwenkten sie die drei Hasen und kamen lachend ans Ufer zurück.
»Das war doch Ihre Idee, Igor Fillipowitsch!« schrie die Susskaja und schlug mit der Faust nach ihm wie ein Fischweib, dem man die frischen Fische bespuckt hat. »Nur wegen der Hasen Andrejs Leben aufs Spiel zu setzen … ich glaube, ich höre nie auf, Sie zu hassen!«
Putkin lachte, warf die Hasen wieder über seinen Rücken und ging pfeifend zu seinem Haus. Auf die Idee, wieso Putkin wußte, daß drüben am anderen Ufer Hasen waren, kam auch die Susskaja nicht. Sie hakte sich bei Andrej unter und war glücklich, ihn wiederzuhaben.
XXXI.
Nun war der Tag gekommen. Der Tag, den Putkin nie erleben wollte, den er schon im voraus verflucht hatte, der eigentlich nicht sein durfte, denn er hatte jeden Abend, allein in seinem Haus, auf der breiten Ofenbank gesessen, eine von Nadeshna auf ein Stück glatter Rinde mit Holzkohle gemalte Ikone vor sich gegen ein Hockerbein gelehnt, und hatte tatsächlich zu Gott gebetet. Leise, als könne man ihn trotzdem noch draußen hören, hatte er gesagt: »Hör einmal zu, Gott! Das ist ein reelles Geschäft: Du läßt mir Nadeshna, und ich werde dich mit aller Inbrunst ansingen, wie es der heuchlerische Kyrill Jegorowitsch Kirsta nicht besser kann.«
Aber Gott war anscheinend nicht zu Geschäften in der Taiga aufgelegt. Er bevorzugte Morotzkij, der am Abend eines schönen warmen Tages sagte: »Morgen früh reiten wir los. Freunde, laßt uns jetzt nicht mehr darüber sprechen. Der Abschied zerreißt mich schon, wenn ich nur daran denke –«
Bevor sie alle sich zum Schlafen niederlegten, fütterte Morotzkij seine Elchkuh Maruta noch einmal, bis sie schier platzte, dann tranken sie die letzte Flasche von Makar Lukanowitschs Wein und eine halbe Flasche von Serikows Wodka und nahmen still, ohne viel Worte und mit keiner Silbe den kommenden Morgen erwähnend, Abschied voneinander. Putkin war nicht dabei … er hatte sich in seinen ›Kreml‹ verkrochen, lief wie ein gefangener Tiger hin und her, riß dann die Ofenklappe auf, warf die Rindenikone in den Kamin und lachte irr, als sie in hellen Flammen aufging und im Nu verglühte.
Morotzkij trank und trank und besoff sich wieder so, daß Andrej und Nadeshna ihn zum Lager schleifen mußten und bis auf Hemd und Unterhose entkleideten. Die Susskaja saß auf der Bank in der schönen Ecke, die nun kahl war, ohne Ikone oder Kreuz, ohne Strohblumen und Kerzenlicht. Eben eine Zimmerecke wie jede andere. »Er schläft jetzt, unser tapferer Semjon Pawlowitsch«, sagte Katja plötzlich. »Der Abschied nimmt ihn gewaltig mit. Er ist ein guter Mensch. Vergessen wir, daß er ein heimlicher Mörder ist. Was damals geschehen ist … er muß sehr verzweifelt gewesen sein und hat seine Frau geliebt. Morotzkij hat ein gutes Herz. Darüber wollte ich mit dir sprechen, Nadeshna –«
»Ich weiß, daß er ein edler Mensch ist«, sagte Nadeshna bedrückt.
»Und du?«
»Bin ich ein schlechter Mensch, weil ich in einem Land, das die Kirche verbieten will, Bibeln verteile?«
»Wer redet davon!« Die Susskaja winkte ab. »Was soll aus Semjon Pawlowitsch und dir werden? Willst du ihn heiraten?«
»Ja.«
»Aus Liebe? Aus wirklicher großer, reiner Liebe?«
Nadeshna schwieg. Sie blickte starr auf ihre schmalen Hände, die von der ungewohnten monatelangen Arbeit rissig und bis in die Poren schmutzig geworden waren. Man würde sie auskochen müssen, um diesen Dreck aus der Haut herauszubekommen. Vor allem das Baumharz hatte sich wie hineingefressen.
»Ich werde ihm mein Leben verdanken«, antwortete sie.
»Dankbarkeit ist nicht genug für ein ganzes Leben zu zweit. Das weißt du, Nadeshna.«
»Was willst du denn von mir, Katja Alexandrowna?« Die Abramowa fuhr auf, ihre schönen blauen Augen flackerten. »Soll ich hierbleiben? Hier, in dieser Hölle? Ich will leben, versteht ihr das nicht? Ich will leben, nicht vegetieren! Ich bin noch so jung … ich habe einfach Angst, in dieser Einsamkeit verrückt zu werden. Nur ihr, nur eure Gesichter, eure Reden, eure Stimmen, euer Streiten und Brüllen, euer Liebesstöhnen und eure Haßgesänge. Nur Tiere und Wald und einen Fluß und einen
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