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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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offenbar, denn alle starrten sie entgeistert an. »Erleben Sie ein Wunder mit! Sehen Sie her …«
    Sie schnitt sich in den Unterarm. Sofort quoll Blut heraus, Andreas riß ihr das Messer aus der Hand, packte ihren Arm und legte seine Hand auf die Wunde. Aber sie entriß ihm den Arm mit einem wilden Ruck und hielt Putkin die blutende Wunde hin.
    »Sie hat den Verstand verloren«, stammelte Putkin. »Andrej, das ist Ihre Frau. Tun Sie doch etwas!«
    »Ich spüre keine Schmerzen«, sagte Katja laut und ruhig. »Ich habe nicht das geringste Gefühl gehabt, als ich einschnitt. Es war, als wäre es ein völlig fremder Körper. Ich sehe die Wunde und das Blut, aber ich spüre nichts. Begreifen Sie endlich, Putkin?«
    »Nein …« Putkin brach sich verwirrt die kleinen Eiszapfen aus seinem Bart, die durch den frierenden Atem entstanden. »Ich begreife nur, daß Sie sich selbst verstümmeln …«
    »Der kleine Schnitt heilt schnell.« Sie wandte sich zu Andreas und Nadeshna, die bleich neben ihr standen. »Keine Schmerzen! Seid ihr alle Idioten? Ich habe eine kleine Ecke von Vater Kyrills Teeplatte gegessen … und das ist die Wirkung! Kyrill Jegorowitsch hat einen Tee gemischt, der die Schmerzen nimmt.« Sie schlug plötzlich mit dem verletzten Arm gegen Putkin, und das mußte sein, als wenn man gegen einen Felsen hämmert. »Nichts! Gar nichts! Als Tee aufgebrüht, in der Verdünnung, wirkt er besänftigend … als konzentrierter Saft ist er ein Analgeticum Semedium.«
    »Warum können Mediziner nie vernünftig sprechen?« brummte Putkin.
    »Ein Schmerzmittel, Sie Hohlkopf! Wir haben ein schmerzbekämpfendes Mittel! Das Wichtigste, was uns fehlt zum Überleben … Wir brauchen keine Schmerzen mehr zu haben!«
    »Dieser dämliche Tee?«
    »Ja, dieser dämliche Tee! Kyrill Jegorowitsch wußte genau, warum er uns fünf ganze Preßtafeln geschenkt hat.«
    »Ein wirklich heiliger Mann –«, sagte Nadeshna.
    Putkin schnaufte laut. »Warum hat er kein Wort darüber gesagt?«
    »Vielleicht aus Angst, daß Sie das Rezept aus ihm herausprügeln.«
    »Bestimmt hätte ich das getan. Er war ein Bulle, dieser Pfaffe, aber auch Bullen kann man auf den Rücken legen. Ich hätte es vielleicht geschafft.«
    Andreas hatte die Arzttasche geöffnet und begann nun, Katjas Unterarm zu verbinden.
    Morotzkij auf seinem Flechtschlitten hatte alles mit angehört, und wie nicht anders zu erwarten, begannen zuerst seine Augen, dann seine Lippen zu betteln.
    »Ein Stückchen Preßtee, Katja Alexandrowna«, stotterte er. »Bitte, bitte … die Schmerzen sind nicht mehr zu ertragen.«
    »Nur einen Aufguß, Semjon Pawlowitsch. Wie bisher.« Die Susskaja sah Nadeshna fordernd an. Bei ihr befanden sich die fünf schwarzen Teeplatten, sie trug sie in dem Verpflegungssack auf dem Rücken. »Nadeshna, geben Sie die Platten heraus.«
    »Nein!« Das war eine mutige Antwort. Nadeshna ballte die Fäuste, mehr hatte sie nicht, um sich zu wehren. Das Gewehr trug Andreas auf dem Rücken, die Beile und die Axt schleppte seit einem Tag wieder Putkin, die Messer hingen an den Gürteln der anderen.
    Nadeshna machte zwei Schritte zurück … ein kleines Tier, in die Enge getrieben, wo aus nackter Angst seltsamer Heldenmut wird. »Ihr müßt mich töten, um an den Tee zu kommen!« keuchte sie. »Kommt, tötet mich …«
    »Als ob das ein Problem wäre!« schrie Putkin. »Ich lege zwei Finger um ihren Schädel und zerquetsche ihn wie ein Ei. Ohne Mühe. Man kann sogar dabei singen.«
    »Seien Sie keine Närrin, Nadeshna«, sagte die Susskaja ruhig. »Keiner weiß, wie lange wir in der Taiga bleiben müssen. Wir sind fünf Menschen, und das sind fünf Körper, die irgendwann einmal unter ihren Schmerzen alles Menschliche verlieren. Dafür brauchen wir die Platten. Nadeshna … Jetzt und hier gibt es nichts Wertvolleres mehr. Und wenn wir eines Tages alles verlieren sollten … diese fünf Preßteeplatten sind der eroberte Himmel!« Sie streckte die Hand aus. »Geben Sie sie her …«
    »Und Sie allein bestimmen darüber, wer und wann einen Tee oder ein Stückchen zum Kauen bekommt?«
    »Ich bin Ärztin … Sie sollten Vertrauen haben, Nadeshna.«
    »Wer traut hier noch wem?« schrie die kleine zarte Person mit dem Engelsgesicht. »Wollen Sie jetzt der Herr über Leben und Tod sein, Katja Alexandrowna?«
    »Wenn Ihnen der Gedanke so unangenehm ist, vertrauen Sie die Platten Andrej an …«
    »Einem deutschen Spion? Nie!« heulte Putkin auf.
    »Ich bin kein Spion, Sie Narr!«

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